Kalifornische Sinfonie
eine ehrbare junge Dame aus dem Kreis ihrer Freunde und Verwandten herausriß. Er mußte sich sagen, daß er mit dem, was er tat, sehr wahrscheinlich das Leben dieser jungen Dame ruinierte. Denn zweifellos hatte er zu der Zeit doch die Absicht, Sie nach Beendigung seiner Reise zu verlassen. Er mußte wissen, daß die junge Witwe, die er zu seiner Geliebten machte, nie wieder zu ihrer Familie zurückkehren konnte, wenn diese erfuhr, was sie getan hatte. In diesen Dingen weiß ich ziemlich gut Bescheid, liebe Florinda. Ich habe dann und wann mit anhören müssen, wie die Leute über ein Mädchen sprachen, das – nun, sagen wir: Unglück hatte. Man bemitleidete sie, selbstverständlich, man sagt, das arme junge Ding war zu unschuldig, es wußte nicht, was es tat; aber man spricht ebenso selbstverständlich kein Wort mehr mit ihr. Sie ist ›in Schande gefallen‹ und damit für die Gesellschaft erledigt. Es kommt nicht selten vor, daß so ein bedauernswertes Geschöpf keinen Ausweg mehr sieht und Selbstmord begeht.«
Garnet schwieg, einigermaßen außer Atem. In Florindas Gesicht stand ein Ausdruck sprachloser Verblüffung.
Garnet atmete einmal tief und fuhr fort: »Wenn Mr. Bartlett ein hübsches Mädchen haben wollte, das ihm dazu verhalf, einen vergnüglichen Sommer zu verbringen, warum vergewisserte er sich nicht, bevor er die Reise antrat, ob sie sich auch klar darüber war, was sie tat. Ob sie auch wußte, wohin sie nach Beendigung der Reise gehen konnte? Er dachte gar nicht daran, es interessierte ihn nicht. Er machte bedenkenlos eine ihm unbekannte junge Dame, die er für ein anständiges, behütetes Wesen halten mußte, zu seiner Freundin. Er war des Glaubens, sie liebe ihn und verschenke sich aus Liebe, ohne sich klarzumachen, was dieser Schritt sie eines Tages kosten würde.«
Florinda starrte Garnet aus weit aufgerissenen Augen an. »O Garnet«, stammelte sie, »dieser Mistkäfer!«
Sie keuchte das so unschuldig heraus, daß Garnet beinahe wieder in Lachen ausgebrochen wäre. »Ist Ihnen so etwas früher nie passiert?« fragte sie.
Florinda schüttelte den Kopf. »Nein, wahrhaftig nicht. Ich habe Theaterstücke gesehen, in denen sich ein Mädchen ins Wasser stürzte, weil sie von irgendeinem vornehmen Stadtherrn ein Kind kriegte. Aber das war Theater. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, so etwas könnte sich im Leben zutragen. Mein Gott – so ein Schwein! So ein psalmensingender Halunke!«
»Das ist er«, sagte Garnet überzeugt. »Und wenn er Sie nun wirklich liebt und Sie lachen ihn aus, dann geschieht ihm recht. Dann hat er sich in seiner eigenen Schlinge gefangen.«
Florinda stand wieder auf. Sie ging um den Tisch herum und sah Garnet an. Ihre schön geschwungenen Lippen waren jetzt hart verkniffen, in ihrem Gesicht stand ein Ausdruck so kalter Wut, daß es Garnet unwillkürlich fror. Florinda sagte:
»Er ist nicht besser als der Schuft, der meine Mutter heiratete und dann sitzenließ.«
Garnet sah schweigend zu Boden. Sie hatte Florinda nicht an das Unglück ihrer Mutter erinnern wollen.
»Garnet«, sagte Florinda, »ich liebe die Männer. Ich liebe sie sehr. Aber Männer dieser Art verabscheue ich. O Teufel –; sie brach ab; »lassen Sie mich nicht noch einmal davon anfangen.« Sie schob den Kummer ihrer Mutter und das Elend ihrer eigenen Kindheit mit einer Handbewegung beiseite und begann zu lachen. »O Garnet«, rief sie, »Sie haben das immer gedacht. Sie haben nur gewartet, bis ich von selbst mit dem Kerl fertig wäre. Ah, Darling, wie habe ich nur jemals ohne Sie leben können! Wenn ich jetzt daran denke, in welcher heimlichen Angst und Sorge ich in den letzten Tagen gelebt habe! Ich danke Ihnen, Garnet, ich danke Ihnen.«
Sie ergriff mit beiden Händen die Tischkante und setzte sich mit einem Schwung auf den Tisch. Ihren Nähkorb heranziehend, sagte sie: »Es ist zu spät, um jetzt noch etwas anzufangen. Dieser John Ives kann jeden Augenblick kommen, um mich nach Hause zu bringen. Was meinen Sie, Garnet, ich denke, wir nähen ein paar Metallknöpfe vorn an das Kleid.«
»O ja«, sagte Garnet, »ich habe sehr schöne gesehen; Mr. Reynolds hatte welche ausgestellt.«
»Da müßte ich sie bezahlen«, sagte Florinda. »Bartlett hat hübsche Knöpfe. Ich sah sie gestern. Aber da hatte ich ihm gegenüber noch ein schlechtes Gewissen, deshalb ließ ich sie liegen.«
Garnet unterdrückte ein Lächeln. Sie wußte schon lange, daß Florinda nur eine vornehme Geste gemacht hatte, als
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