Kalifornische Sinfonie
dunkelgrünem Chaparral bedeckt, und zwischen dem Chaparral stehen die Yaccas – das sind palmenähnliche Liliengewächse –, die wie weiße Kerzen zwanzig Fuß hoch in die Höhe schießen. Und darüber hinweg zur Höhe gleitend stößt der Blick wieder auf farbige Blumenteppiche, die sich bis zur Schneedecke hinaufziehen. Überall in der Luft ist der Geruch des Salbeis, ein starker, würziger Duft, der einen nicht losläßt. Man hält, vom Anblick überwältigt, am Fuße eines Hügels sein Pferd an und sitzt und schaut und vermag den Blick nicht zu lösen; man spürt das Überwältigende und Unsagbare wie einen Schmerz tief in der Brust. Die Bergspitzen funkeln in strahlendem Weiß, und der Himmel ist von einer so unwahrscheinlichen Bläue, daß sie wie Purpur wirkt; und vor einem ist bezwingend und allgewaltig die Ferne und die Endlosigkeit und der Strahlenkranz der Bergketten am Horizont. Und immer wieder ist der farbige Blumenteppich unter einem, und es würgt einen tief drinnen, daß man in Tränen ausbrechen möchte. Man schämt sich vor seinem eigenen Gefühl, man wendet das Pferd, um weiterzureiten und seinen Geschäften nachzugehen, und gerade da kommt einem vielleicht irgend so ein hornhäutiger Kerl ins Blickfeld, ein mit allen Wassern gewaschener Halunke, der gerade noch rechtzeitig aus den Staaten herauskam, um dem Galgen zu entgehen, ein Kerl, der einen Stein statt eines Herzens in der Brust hat. Und der steht da nun und sieht sich um, und seine Augen werden groß und größer, das große Staunen steht darin, und man hört ihn atmen und einen Schrei der Überwältigung ausstoßen: ›Allmächtiger Gott!‹ Und man weiß: Der Bursche hat in seinem Leben mehr geflucht als tausend andere zusammen, aber als er jetzt ›Allmächtiger Gott!‹ sagte, da fluchte er nicht.« John schwieg, und eine lange Stille setzte ein. Garnet sah starr auf die kahlen, nackten Felsen und auf den schmalen, seichten Bach, der sie nach Kalifornien führen würde. Von unten her drang schwach und wie aus weiter Ferne der Lärm des Lagers herauf.
»Ich danke Ihnen«, sagte Garnet leise, »ich danke Ihnen sehr.« John sah immer noch in die Weite hinaus. Bei ihren geflüsterten Worten fuhr er herum, als habe er ihre Gegenwart bereits völlig vergessen. Er ließ ein kurzes, fast böses Lachen hören.
»Wenn Sie je einem Menschen erzählen, wie ich jetzt zu Ihnen gesprochen habe, soll Ihnen die Sonne das Hirn ausdörren«, sagte er. »Kommen Sie, lassen Sie uns hinuntergehen. Ich habe eine Wache zu übernehmen, und zwar sehr bald; vorher möchte ich noch ein wenig schlafen.«
Er nahm ihren Arm und half ihr beim Abstieg. Nachdem sie den Wachposten passiert hatten, verabschiedete er sich mit einem kurzen »Auf Wiedersehen!« und ging davon. Minuten später schon sah sie ihn neben anderen Männern ausgestreckt am Boden liegen und schlafen.
Was für ein rätselhafter Mensch er ist! dachte sie. Er liebt die Erde und das Land, in dem er lebt, aber er liebt die Menschen nicht, die mit ihm die Erde bewohnen. Die anderen Männer, gleichgültig, woher sie kamen und was sie vorher getrieben haben mochten, wurden durch die gemeinsame Arbeit und die gemeinsame Gefahr zu einer Einheit zusammengeschmolzen. John Ives stand außerhalb. Er beteiligte sich an jeder Arbeit und entzog sich keiner Pflicht, im Gegenteil, er tat mehr als mancher andere und wurde von allen hochgeachtet, aber er lebte sein eigentliches Leben für sich, er teilte es mit keinem Menschen.
Nun hatte er zu ihr gesprochen, wie er sonst zu niemand sprach. Sie fragte sich, was ihn wohl veranlaßt haben mochte, gerade ihr einen Blick in sein Inneres zu gestatten. Fühlte er, daß sie die Erde liebte wie er? Ja, dachte sie, ich liebe die Erde, und ich liebe auch ihn, ganz anders als Oliver, anders als die Eltern; es ist dies eine seltsame Liebe; ich vermag sie nicht zu erklären.
***
Sechs Tage lang folgten sie dem Rio Dolores. Der Fluß führte sie nach Westen und bog dann, durch das Gebirge führend, nach Nordwesten. Das endlose Reiten ermüdete, aber sie hatten Wasser und gute Verpflegung: außer dem Salzfleisch, das sie mitgenommen hatten, frisches Hammelfleisch und allerlei Wildvögel. Die Tage waren glühend heiß, die Nächte wurden von Mal zu Mal kälter. Eines Nachmittags gerieten sie unversehens in einen Regenschauer hinein; sie begrüßten das Wasser vom Himmel wie einen Segen und ritten unentwegt weiter; Garnet wunderte sich hinterher, daß sich niemand
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