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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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haben, aber es war so: Oliver hatte Angst.
    Sie versuchte das zu begreifen. Oliver hatte seine Eltern verloren, als er noch ein Kind war. Seitdem hatte er immer nur Charles gehorcht, und Charles war ein unerbittlicher Tyrann. Außerhalb der Reichweite des Einflusses seines Bruders hatte er sich in sie verliebt und hatte sie geheiratet. Charles hatte ihn hart getadelt, und nun benahm Oliver sich wie ein Schuljunge, der es zum erstenmal gewagt hatte, einem strikten Befehl seines Vaters zu trotzen. Garnet stellte das fest, aber sie begriff es nicht, sie war innerlich verwirrt, und in ihr Gefühl für Oliver mischte sich zornige Verachtung.
    Wenn sie nachts in ihrem Sattelhäuschen lagen – es war dies die einzige Gelegenheit, sich in eine sozusagen private Sphäre zurückzuziehen –, unternahm Garnet immer wieder den Versuch, Oliver zu veranlassen, sich offen und rückhaltlos zu offenbaren; aber all ihr Reden blieb ohne Erfolg. Er bat sie nur immer wieder, sich doch mit Charles’ Eigenarten abzufinden. Er habe ihr doch gesagt, daß er Zeit brauchen werde, sich an sie zu gewöhnen.
    »Ich habe gar nichts gegen Charles«, sagte Garnet dann, »aber ich habe etwas gegen dich. Du benimmst dich, als sei ich jemand, wegen dessen Anwesenheit du dich entschuldigen müßtest.«
    »Um Gottes willen, Garnet!« rief Oliver in verzweifelter Erbitterung, »höre endlich auf, mich mit diesen Dingen zu belästigen.« Am Ende umschlang er sie dann wieder mit den Armen, drückte sie an sich und bat sie, ihm zu vergeben, weil er so rauh mit ihr gesprochen habe. Mein Gott, ja, sie wußte es ja: Er liebte sie, er liebte sie mehr als irgend etwas anderes auf der Welt. War das nicht im Grunde genug?
    Nein! dachte sie, wenn sie dann an Olivers Seite wach lag und grübelte, nein, es ist nicht genug. Oliver mochte sie lieben, aber er vertraute ihr nicht wirklich. Liebe setzt Vertrauen voraus. Und sie wollte wirkliche Liebe. Sie wollte keine schwächliche Bewunderung.
    Sie schlief unruhig, und sie wußte, daß auch Oliver unruhig schlief, obwohl er morgens immer erklärte, er fühle sich sehr wohl. Sie sagte ja auch, daß sie sich wohl fühle, obgleich sie elend und unausgeschlafen war. Sie kam sich erbärmlich vor. Sie hatte hier nicht unter den Unbequemlichkeiten des großen Trecks zu leiden; es gab weder Durst noch unerträgliche Hitze, und es gab keine kalte Pinole, die vor Sand zwischen den Zähnen knirschte. Aber es gab Schlimmeres hier. Da war Charles’ kalte, kaum beherrschte Wut, da war Olivers Furcht vor seinem Bruder und ihr eigener wachsender Widerwille gegen Oliver. Die vorzüglichsten Gerichte schmeckten ihr nicht; sie aß im Grunde nur der Diener wegen, die ihretwegen hart gearbeitet hatten und die sie nicht enttäuschen wollte.
    Als sie eines Morgens einen Gebirgspaß durchritten, erblickte Garnet unten im Tal den Platz, wo sie den kommenden Winter verleben sollte. Es war leicht zu begreifen, daß Charles von ›seiner Ranch‹ gesprochen hatte. Niemand, der die Brüder Hale kannte, hätte einen Augenblick auf den Einfall kommen können, Oliver könnte mit dieser Besitzung auch nur das geringste zu tun haben.
    Charles war hier ganz offensichtlich seine eigenen Wege gegangen. Der ganze ungeheure Komplex war so vorbildlich sauber wie ein frisch gestärkter Kragen. Man brauchte nur einen Blick auf Land und Gebäude zu werfen, um zu wissen, daß hier ein reicher und dazu nüchterner, kalter und berechnender Mann wohnte, der die Güte und Beschaffenheit jeder einzelnen Haut und jeder einzelnen Weintraube kannte.
    Das Herrenhaus war ein großer, langgestreckter Bau aus ungebrannten Ziegeln, weiß gestrichen und mit Glasscheiben in den Fenstern. Davor gab es einen in Stein gefaßten Sammelbrunnen, der von zwei Bächen gespeist wurde, die vom Gebirge herunterkamen. Rund um das Haus zogen sich Gemüse-, Obst-und Weingärten, von Bewässerungsgräben durchzogen. Die Stauden standen überall in peinlich ausgerichteten Reihen, und nirgendwo war auch nur die Spur von Unkraut zu sehen; das Wasser kam nur Nutzpflanzen zugute. Hinter dem Herrenhaus erhoben sich in respektvoller Entfernung die Lagerhäuser, Arbeiterhütten und Werkstätten. Auch diese Häuser wirkten peinlich sauber und standen in geraden Straßenzügen korrekt nebeneinander, wie die Häuser eines besonders gepflegten Dorfes. Auf den Feldern waren zahllose Arbeiter beschäftigt; auf den Hängen dahinter grasten riesige Viehherden. O ja, dies war eine reiche Besitzung; sie

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