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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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ich verstehe ihn überhaupt nicht mehr. Während des ganzen Tages spricht kaum ein Mensch mit mir. Ach, wenn Ihr doch hier wäret und Oliver veranlassen könntet, mit mir zu sprechen!
    Nein. Es ging nicht, sie konnte das nicht schreiben. Die Eltern waren eine Halbjahresreise von ihr entfernt, und sie konnten ihr nicht helfen. Sie durfte ihnen nichts sagen, was ihnen die Berechtigung verschafft hätte, sich einzumischen. Wenn sie wieder bei ihnen zu Hause war, würde auch diese ganze Verwirrung vorüber sein. Sie tauchte die Feder in die Tinte und schrieb:
    »Liebe Mutter, lieber Vater! Ein glücklicher Zufall will es, daß ein Bostoner Klipper im Hafen von San Diego liegt. So erhielt ich Gelegenheit, Euch eine kurze Nachricht zukommen zu lassen. Wir sind vor kurzem in Kalifornien angekommen, nach einer sehr harten, aber außerordentlich interessanten Reise.« – Schreibe ihnen nicht, wie schwer das alles war, dachte sie; sie werden sich sonst Sorgen machen, wenn sie mich im nächsten Jahr wieder auf dem Treck wissen. »Ich wollte, ich könnte Euch Einzelheiten von der Reise berichten, aber ich schreibe in großer Eile, deshalb müßt Ihr darauf bis zum Wiedersehen warten. Oliver und ich wohnen auf der Ranch zusammen mit seinem Bruder Charles. Es ist alles sehr bequem für mich eingerichtet. Ich bin wie immer bei guter Gesundheit und so stark und so sonnenverbrannt, daß Ihr mich kaum wiedererkennen würdet. Nun noch etwas über das Land: Da ist vor allem das Gebirge. Die Berge sind so gewaltig –
    Sie schrieb und schrieb und biß sich die Lippen dabei blutig, um bei ihrem Entschluß zu bleiben, glücklich und sorgenlos zu erscheinen. Ihre Augen begannen sich mit Tränen zu füllen und verschleierten sich so, daß sie kaum noch sah, was sie schrieb. Sie legte den Kopf auf den Arm und versuchte das Weinen zu unterdrücken, aber die Tränen liefen weiter; sie konnte sie nicht zurückhalten. Wenn dieser Brief in New York ankam, würde heißer Mittsommer sein. Die Menschen würden ins Gebirge oder an die atlantische Küste reisen. Mutter und Vater würden den Brief mit stolzer Freude allen Freunden zeigen; sie hörte die Ausrufe des Staunens und der heimlichen Bewunderung: »Guter Gott, Pauline, was für ein Erlebnis das Mädchen gehabt hat! Waren Sie denn nicht bange, sie so weit fortziehen zu lassen?«
    »Aber ja, ich war sehr bange; aber jetzt, seit ich den Brief habe, fühle ich mich wohler. Sie können ja sehen, wie glücklich sie ist.«
    Vater würde den Brief in die Brieftasche stecken und ihn, dann wie zufällig in der Bank herausnehmen: »Ach, nebenbei: wir haben gerade Nachricht von unserer Tochter aus Kalifornien bekommen. Das muß ein außerordentlich interessantes Land sein. Sie schreibt –
    Oh, die Eltern waren so gut, sie waren in allem, was sie taten, so sicher und gefestigt; sie hatte das nie richtig zu schätzen gewußt.
    Sie beendete den Brief nach dem Abendessen. Am nächsten Morgen vor dem Frühstück gab sie ihn Pablo und sah dem Boy nach, wie er davonritt. Sie wollte Charles keine Gelegenheit geben, nach dem Brief zu fragen, sie hatte ihn nur ganz knapp darin erwähnt; aber sie gedachte niemand das Recht einzuräumen, Einblick in ihre Korrespondenz zu nehmen.
    Der Tag ging vorüber wie jeder andere. Garnet streifte stundenlang einsam umher, dachte an John und Florinda und alle die anderen Freunde vom Treck, fragte sich, was sie jetzt wohl täten, und vermißte sie alle. Am Abend erklärte Oliver, Charles und er müßten einige Geschäftsberichte durchgehen. Sie betraten zu dreien das Wohnzimmer, das Tür an Tür mit ihrem Schlafzimmer lag. Garnet saß auf einem der steiflehnigen Stühle, während Oliver eines der Kontobücher vom Tisch nahm und die Eintragungen mit Charles durchging.
    Nach wenigen Minuten waren beide Männer eifrig in ein Gespräch vertieft. Oliver saß auf der Wandbank und hatte das Kontobuch auf den Knien. Charles stand am Kamin. Auf dem Kaminrost lag das Holz anzündebereit, aber niemand schien daran zu denken, Feuer zu machen, obgleich die Nachtluft empfindlich kalt war. Garnets Gedanken wanderten. Was für ein häßliches Zimmer das war mit den weißen Wänden und den steifen Vorhängen! Die Lampe warf große Schatten auf den Fußboden.
    Es war eine amerikanische Lampe; sie mochte von einem der Schiffe in San Diego gekauft worden sein. Der runde Schirm war mit rosa Rosen bemalt. Charles’ ganzes Haus war mit seiner Einrichtung eine Mischung von Kalifornien und Neu-England;

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