Kalifornische Sinfonie
verwenden wahrhaftig mehr Aufmerksamkeit auf die Pferde, als mein eigener Mann für mich übrig hat. Sie hockte sich auf den Fußboden und stellte den Becher mit Wein neben sich. Später würde sie ihn vielleicht trinken; jetzt konnte sie noch nicht. Sie hatte das Gefühl, daß ihr Magen einstweilen noch alles verweigern würde, was sie ihm zuführte.
Das also war Kalifornien. Dies war das erträumte Märchenland am Ende des langen Trecks. Kalifornien war nicht nur häßlich, es war ein Land, in dem selbst die Erde einen haßte und abzuwerfen versuchte. Sie schwor sich in diesem Augenblick zu: Wenn ich je wieder aus diesem entsetzlichen Land herauskommen sollte, ich werde New York nie wieder verlassen. Wenn ich nur erst wieder beim Treck wäre! Ich will kein Wort gegen die Hitze, gegen den Staub und gegen den Durst sagen. Ich will überhaupt nur noch eins: Ich will aus Kalifornien heraus!
Charles und Oliver hatten die Köpfe über das Hauptbuch gebeugt und sprachen miteinander, als wären sie allein und als käme dem eben Geschehenen nicht die geringste Bedeutung zu. Garnet begann die umhergestreuten Papiere aufzusammeln. Die Tätigkeit verschaffte ihr wenigstens die Möglichkeit, ihre zitternden Hände zu beschäftigen. Sie erlaubte ihr, das Gesicht dem Fußboden zuzuwenden, so daß die Männer die Wut und den Ärger darin nicht zu sehen vermochten.
Unter den Papieren waren lange Listen und Verzeichnisse von Waren und Preisen; das meiste war spanisch geschrieben. Garnet langte nach ein paar Papierblättern, die etwas weiter weg lagen. Sie nahm sie auf, hielt sie und atmete tief, um ihre aufgeregten Nerven zu beruhigen. Es waren zwei Blätter, die sie in der Hand hielt. Sie waren mit englischen Sätzen bedeckt. Garnet hatte nicht die Absicht, das Geschriebene zu lesen; aber wie sie so auf die Zeilen blickte, formten sich die Buchstaben und Wörter automatisch zu Sätzen, die sie mehr oder weniger unbewußt aufnahm.
Über diesem unbewußten Lesen begann sich plötzlich ihr Rückgrat zu steifen und ihre Hände wurden feucht. Die Muskeln ihres Körpers schienen sich zu verkrampfen.
Nun wußte sie also, was sie vor ihr zu verbergen trachteten. Nun wußte sie, warum John Ives geleugnet hatte, Oliver in Santa Fé einen Brief gebracht zu haben. Wußte, warum John so erschrocken, ja entsetzt gewesen war, als er hörte, daß Oliver verheiratet sei. Und warum er noch entsetzter war, als ihm bekannt wurde, daß Oliver sie mit nach Kalifornien zu nehmen gedächte. Sie wußte nun, warum Charles sie mit solch kaltem Haß und solch unverhohlenem Abscheu betrachtete, und warum Oliver in Charles’ Gegenwart einen so schuldbewußten Eindruck machte. Sie wußte, warum Johns grüne Augen soviel Mitgefühl ausgestrahlt hatten, als er ihr adieu sagte.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Die Schrift – Teil eines längeren Briefes offenbar – begann in der Mitte eines Satzes und endete in der Mitte eines anderen. Garnet las:
» bisher aussah, aber nun habe ich doch gute Nachrichten für Dich. Du verdienst es nicht, Oliver, dessen sei sicher. Du hast in Frauenangelegenheiten noch niemals Verstand aufgebracht, und ich wage zu behaupten, Du wirst das auch zukünftig nicht tun; aber diesmal hat es sich nun so gefügt, daß uns Deine Weibergeschichten und Dein Herumgeludere zu dem größten Glück verhalfen, das wir jemals hatten. Nicht einmal ich hätte gewagt, für Dich eine Heirat mit einer Erbin wie Carmelita Velasco zu planen.
Aber nun ist es so, daß Don Rafael keinen sehnlicheren Wunsch hat, als Dich sobald als möglich mit seiner Tochter verheiratet zu sehen. Es ist alles arrangiert. Don Rafael war heute hier. Carmelita hat im Januar einen Knaben geboren. Sie ist bei guter Gesundheit, und ihre Verwandten oben im Norden zweifeln natürlich nicht daran, daß Ihr schon miteinander verheiratet seid. Sie sind der Meinung, die Trauung sei vor Deiner Abreise in Don Rafaels Hauskapelle vollzogen worden.
Don Rafael und ich haben alles sehr sorgsam geplant und vorbereitet. Ich reite Dir bis zu Don Antonios Ranch entgegen und treffe dort mit Dir zusammen. Wir reiten dann sofort gemeinsam nach Norden, und Carmelita und Du werdet in aller Stille und Heimlichkeit in der Kapelle ihrer Tante getraut.
Don Rafael ist wieder ausgezeichneter Laune. Er hat sich immer einen Enkel gewünscht. Der Junge wird einmal seine Besitzung und sein ganzes riesiges Vermögen erben. Und das dürfte uns zu den größten Landbesitzern Kaliforniens machen.
Sofern
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