Kalifornische Sinfonie
schließlich ging es mir wieder ausgezeichnet. Eines Tages kletterte ich in Doña Manuelas Abwesenheit aus dem Bett, zog meine Nachtjacke und mein Nachthemd aus und betrachtete mich im Spiegel. Und, o Garnet, ich sah wieder aus, wie es sich gehört, ich fand mich geradezu schön. Nirgendwo war mehr ein Knochen zu sehen; Vertiefungen waren nur dort, wo sie hingehörten, mein Haar glänzte wieder, und meine Haut war wieder glatt und weich. Ich wäre so gern aufgeblieben, denn ich fürchtete, wenn ich jetzt nicht anfinge, mich zu bewegen, würde ich von der Ruhe und dem vielen Essen noch dicker werden. Und außerdem wollte ich auch gern ein paar Menschen sehen, denn ich war nie sehr gerne allein. Aber ich wußte, daß Doña Manuela mich nicht in ihr Wohn-und Empfangszimmer lassen würde, bis ich vorschriftsmäßig schwarz gekleidet wäre. Sie war reizend und voller Mitgefühl; sie sagte, sie verstehe natürlich, daß ich bald wieder mit Herren zusammenkommen müsse, um einen neuen Gatten zu finden, aber für ein Weilchen müßte ich noch Trauerkleidung tragen, weil ich eine Witwe sei. Ach, Liebste, ich hatte ganz vergessen, daß ich eine Witwe war. Aber Doña Manuela befahl einigen Mädchen, sich hinzusetzen und mir Trauerkleider zu nähen. Das taten sie auch, und dann dauerte es nicht mehr lange, da durfte ich aufstehen und herumgehen. Und eines Tages kam Mr. Kerridge, und ich stand in der Mitte des Zimmers mit züchtig gesenkten Augen, von Kopf bis zu Fuß in traurige schwarze Gewänder gehüllt. Mr. Kerridge sah mir in die Augen, und da konnte ich mir nicht helfen, ich mußte kichern. Und, was denken Sie, Garnet: Mr. Kerridge kicherte auch. Ach, Liebste, dieser Mann ist geradeso wunderbar wie seine Frau, nur in einer anderen Art. Ich gehe nun also wieder vollkommen schwarz gekleidet umher, aber ich finde, es kleidet mich sehr gut. Doña Manuela gestattete mir, mein Zimmer zu verlassen, und stellte mich allen ihren Freunden vor. Sie erzählte ihnen eine lange und traurige Geschichte und ließ die Augen dabei hin und hergehen, um zu sehen, ob etwa einer der Herren genügend durch meine Erscheinung beeindruckt würde, um sich zu entschließen, der Nachfolger meines jüngst verblichenen Gatten zu werden.
O Liebe, diesen Brief zu schreiben hat mich viel Zeit und Mühe gekostet. Mr. Kerridge hat die Federn für mich geschnitten. Ich habe in meinem Leben nicht viel geschrieben, deshalb verstehe ich auch nicht, eine Gänsefeder zu einer Schreibfeder zurechtzuschneiden. Mr. Kerridge schnitt sie für mich, weil Doña Manuela zwar sehr viel kann und versteht, aber niemals lesen und schreiben lernte. Darum kam sie auch oft herein zu mir und sah mir mit großem Respekt zu, wenn ich da saß und schrieb; es beeindruckt sie offenbar sehr, daß ich so viel gelernt habe.
Und nun, liebe Garnet, muß ich Ihnen noch von den jüngsten Ereignissen berichten. Ich habe sehr großes Glück gehabt. Ich hatte mich oft gefragt, was ich beginnen sollte. Doña Manuela verfolgte den Plan, mir so bald als möglich einen neuen Mann zu verschaffen, und Sie können sich wohl denken, daß ich daran nicht interessiert war. Denn ich bin, ebenso wie sie, kein häuslicher Typ. Nun, vorgestern fiel eine Entscheidung. Unter den täglichen Besuchern der Ranch befanden sich auch einige Amerikaner. Unter den Amerikanern aber, o liebste Garnet, befanden sich John, das Hübsche Tier und Silky Van Dorn. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich gefreut habe, als ich sie sah. John ist dabei, Vieh für seinen Ranchbetrieb zu kaufen. Er hat Mr. Kerridge einige Tiere abgekauft und sagte, daß er von hier aus zur Hale-Ranch reiten werde, um auch dort noch Vieh einzukaufen. Er wird diesen Brief an Sie mitnehmen. John erzählte mir, er habe seine Ranch nach dem gelben Mohn benannt. Ich kann das Wort aber nicht buchstabieren und also auch nicht schreiben, denn es ist ein spanisches Wort, aber es klingt wunderschön. Das Hübsche Tier ist hübscher als jemals zuvor; er war wie immer prachtvoll gekleidet und im übrigen so nett und so freundlich und so unschuldig-süß, daß man ihn gernhaben mußte. Ich habe ihn auch wirklich gern.
Die große Neuigkeit aber ist diese: Silky war von meinem Anblick sehr überrascht, denn er war ja gewöhnt, in mir das dünne und magere Knochengestell zu sehen, zu dem ich auf dem Treck geworden war. Seine Augen wurden immer größer, und er zwirbelte seinen Schnurrbart und verbeugte sich tief vor mir und benahm sich so großartig,
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