Kalifornische Sinfonie
er.
Für einen Augenblick hingen ihre Blicke ineinander, dann wandte er abrupt das Pferd und ritt davon. Nikolai, der sich von Florinda verabschiedet hatte, rief ihr gleichfalls ein Lebewohl zu. Gefolgt von den Packpferden und den Boys verließen die Reiter die Ranch. Garnet sah ihnen nach, bis die Staubwolke hinter ihnen sich auflöste. John hatte sie nicht berührt, er hatte ihr nicht einmal die Hand zum Lebewohl gereicht und ihr kein Liebeswort zugeflüstert. Aber er hatte sie angesehen wie ein Liebender.
Florinda ging ins Haus, um sich die Stirn nach Nikolais Rat mit Olivenöl einzureiben, und Garnet begab sich in das Wäldchen hinter dem Haus, wo Schatten spendende Bäume und Weinstöcke zum Ausruhen einluden. Sie setzte sich auf die unter einem Olivenbaum stehende Ziegelbank und dachte nach. Sie war überzeugt, daß John sie begehrenswert fand. Aber sie begriff nicht, warum er es ihr nicht gesagt hatte.
Freilich, sie war noch nicht ganz ein Jahr Witwe, und ihr Kind war knapp zwei Monate alt. Früher in New York hätte man das Verhalten eines Mannes, der einer Frau unter solchen Umständen Liebesworte sagte, empörend gefunden. Aber sie war überzeugt, daß Konventionen irgendwelcher Art John nie gehindert hätten, zu sagen, was er empfand. Aber er hatte nichts gesagt, und sie begriff nicht, warum.
Was mag er gemeint haben, als er mir damals auf dem Weg von der Hale-Ranch nach Los Angeles sagte, er sei einmal ein Objekt der Wohltätigkeit gewesen? dachte sie. Wohltätigkeit – darunter hatte sie bisher das Schenken abgetragener Kleider an Arme und Bedürftige verstanden. Das hatte er sicher nicht gemeint. John hatte unzweifelhaft eine gute Erziehung genossen; er sprach und benahm sich wie ein Mann von ausgezeichneter Herkunft. Was aber konnte er dann gemeint haben?
Wie wenig sie doch von ihm wußte! Nicht, daß ihr der Umstand sonderlich bedeutsam erschienen wäre. Sie wußte, wie wichtig er für sie war, und sie wünschte sehr, sie möchte auch für ihn wichtig sein. Sie sah zu den Hügeln hinüber, hinter denen John verschwunden war, und seufzte. Es würde ihr nicht leichtfallen, hier geduldig auszuharren und zu warten.
***
Mr. Kerridges Wohnhaus hatte ein Dach von gebrannten roten Ziegeln. Es war ein langes und niedriges, sehr weitgestrecktes Gebäude mit mehreren Flügeln. Vor dem Hause erstreckte sich ein kleines Gehölz von Sykomoren und Lebensbäumen; hier standen während des ganzen Tages Pferde gesattelt bereit. Die Höfe zu beiden Seiten waren mit Weinstöcken und Obstbäumen bepflanzt; hinter dem Hause, von hohen Mauern umgeben, befand sich der Hof für die jungen Damen des Hauses. Männern war es nicht erlaubt, diesen Hof zu betreten, und die jungen Damen durften ihn nicht ohne Begleitung ihrer Doña verlassen. Verheiratete Frauen konnten sich dagegen völlig frei bewegen.
Mr. Kerridge hatte in diesem Herbst mehr amerikanische Gäste als jemals zuvor. Jetzt, wo Kalifornien im Begriff war, ein amerikanischer Staat zu werden, kamen ganze Scharen von Männern von Oregon herunter. Viele von ihnen fanden den Weg zu Kerridges Ranch, um sich von einem so angesehenen und schon so lange im Lande lebenden Mann Rat zu holen. Es kamen weiter Leute mit Pferden, mit der Bitte, die Tiere hier einstweilen unterstellen und in Pflege geben zu können. Sie erzählten, Frémonts Räuberbataillon sei unterwegs und requiriere jedes Pferd unter dem fragwürdigen Versprechen, die USA-Regierung werde die Tiere eines Tages bezahlen. Kerridges Ranch lag weitab von der großen Straße; deshalb schienen Pferde den Leuten hier sicherer als auf den in Küstennähe gelegenen Ranchos.
Wenn die Besucher kamen, erklärten sie in der Regel, sie gedächten nur ein paar Wochen zu bleiben. Aber es geschah nur sehr selten, daß sie schon bald wieder abritten. Sie hatten nicht damit gerechnet, hier zwei junge heiratsfähige Amerikanerinnen vorzufinden, und gedachten, diese Chance nicht gänzlich ungenützt vorübergehen zu lassen. Selten verließ einer der Männer die Ranch, ohne nicht wenigstens einer der beiden Frauen einen Heiratsantrag gemacht zu haben, in der Regel aber allen beiden. Weder Garnet noch Florinda hatten Lust, einen dieser fremden Männer zu heiraten, aber nach dem Schmutz und den Spinnen und der ganzen ziemlich wüsten und betriebsamen Atmosphäre von Los Angeles fanden sie es wunderbar, geruhsam unter Olivenbäumen zu wandeln und sich bewundern und anbeten zu lassen.
Sie verlebten glückliche und heitere
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