Kalifornische Sinfonie
Ferientage. Jeder Tag begann damit, daß ihnen ein Mexikanermädchen in früher Morgenstunde eine Tasse Schokolade ans Bett brachte. Nachdem sie sich angekleidet hatten, ritten sie zu zweien oder auch zu mehreren durch das hügelige Land. Hungrig wie die Wölfe kamen sie dann von den langen Ritten zurück und stürzten sich auf die reichgefüllten Schüsseln. Vor dem pünktlich um zwölf stattfindenden Mittagessen wurde noch ein zweites Frühstück gereicht. Nach dem Dinner hielt jedermann auf der Ranch Siesta. Danach tummelten sie sich in den Höfen, wo Mexikanermädchen ihnen Waffeln servierten und Tassen mit heißem Cha anboten, einem aus einheimischen Pflanzen gebrauten und mit Orangenblüten gewürzten Getränk, das köstlich mundete.
Der erste Regen fiel im November. Die Erde wurde grün, und die Gipfel der Berge färbten sich weiß. Denn was in den Tälern als Regen niederschlug, fiel im Gebirge als Schnee. Nicht lange danach kam Nikolai Grigorievitch aus Monterey zurück. Zu Garnets Enttäuschung kam er allein, aber er brachte ihr eine Nachricht von John. John schrieb ihr kurz und bündig, er habe sich den USA-Truppen als Führer und Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Da er jeden Paß, jeden Pfad und fast jeden Abfluß im südlichen Kalifornien genauestens kenne, glaube er, sich auf solche Weise nützlich machen zu können. Er werde sie und Florinda holen, sobald er Gewißheit habe, daß sie ungefährdet reisen könnten. Er glaube allerdings, daß darüber noch einige Monate vergehen würden.
Der Brief war herausfordernd unpersönlich geschrieben, und wenn Garnet ihrem ersten Impuls gefolgt wäre, hätte sie ihn in Fetzen gerissen. Dieser Holzblock! dachte sie, wild aufbegehrend. Was sollte man mit so einem Mann anfangen? Man kommt sich selbst wie ein glühender Vulkan vor, sobald nur sein Name genannt wird, und er schreibt einem einen Brief, den er geradesogut seiner Tante hätte schreiben können.
Man konnte gar nichts tun. Welcher Art immer Johns Gefühle sein mochten, er offenbarte sie nicht. Über dem Nachdenken wurde Garnet ruhiger. Sie dachte daran, wie oft und wie selbstverständlich er ihr beigestanden hatte, wenn sie ihn brauchte; und sie sah vor sich wieder seine Augen, wie sie die ihren beim Abschied festgehalten hatten. John dachte an sie, und er sorgte sich um sie; es war töricht, daran zu zweifeln.
Sie saß in dem Zimmer, das sie mit Florinda teilte, auf der Wandbank und begann das Garn zu sortieren, das Nikolai ihr aus Monterey mitgebracht hatte, damit sie Doña Manuela einen Schal häkeln könne. Nikolai hatte ihr wunderschöne Seidendocken, in vielen Farben leuchtend, gebracht; er hatte sie von einem im Chinahandel fahrenden Yankeeklipper gekauft. Stephen erwachte und schrie. Wenn Stephen aufwachte, wollte er, daß sich jemand mit ihm beschäftigte. Während Garnet ihn aus dem Körbchen nahm, kam Florinda herein. Garnet zeigte auf den Brief, den Nikolai ihr gebracht hatte. »John schreibt, wir müßten den ganzen Winter hierbleiben«, sagte sie.
Es war Zeit zur Siesta. Florinda begann die Nadeln in ihrem Haar zu lösen. »Nun«, sagte sie, »wenn wir schon die Zeit totschlagen müssen, dann ist dies hier ein sehr annehmbarer Platz dafür.« Sie legte die Haarnadeln neben die Waschschüssel und knöpfte ihr Kleid auf. »Ich wünschte nur, all diese amüsanten Dummköpfe hörten auf, mich zu fragen, ob ich sie heiraten wolle. Ich habe gar keine Lust, mir mein Leben durch einen Mann in Unordnung bringen zu lassen. Garnet, sage mir, in welcher Form lehnt eine achtbare junge Dame einen Heiratsantrag ab?«
Garnet lächelte. »Nun«, sagte sie, »du kannst beispielsweise so einem Herrn erklären, sein Vertrauen ehre dich sehr, aber bedauerlicherweise empfändest du für ihn nicht so, wie eine Frau für einen Mann empfinden müsse, mit dem sie beabsichtige, ihr ganzes ferneres Leben zu teilen.«
»O heiliger Kolumbus!« rief Florinda, »muß man wirklich so einen gespreizten Unsinn reden? Nun, meinetwegen, schreib es mir auf, dann lerne ich es auswendig.« Sie streifte das Nachthemd über den Kopf. »Der Spaß kostet uns eine Menge Geld. Ich hoffe, Silky hat wenigstens ein sicheres Versteck für unseren Whisky ausfindig gemacht. Er war sündhaft teuer.«
Garnet beugte sich über das Körbchen, in dem Stephen friedlich schlief. Ob Florinda wohl jemals an irgend etwas anderes als an Geld denkt? dachte sie. Aber in eben diesem Augenblick wandte sich Florinda um, beugte sich gleichfalls über
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