Kalifornische Sinfonie
zuwarf. »Dann ist Vorsicht geboten«, sagte sie.
Oliver gab der Person einen Schein und sagte, sie solle das Wechselgeld behalten.
»Danke«, sagte das Mädchen und lächelte Garnet abermals an. »Bon soir, Mademoiselle«, sagte sie und verließ den Tisch.
Garnet starrte ihr nach. »Oliver«, flüsterte sie, »hast du gehört: sie hat mich Mademoiselle genannt.«
»Natürlich«, versetzte Oliver und lachte sie an, »wundert dich das?«
Garnet dachte: Der Handschuh verbirgt meinen Trauring, aber trotzdem –; sie sagte: »Sehe ich aus wie ein Mädchen, das mit einem Mann an so einen Ort geht, ohne mit ihm verheiratet zu sein?«
»Soll ich dich nach Hause bringen?« fragte Oliver.
»O nein, gewiß nicht.«
»Nun, dann versuche dich nicht zu wundern.«
Garnet fühlte eine prickelnde Erregung; das alles war sonderbar, eine ganz neue Welt. Sie erhoben die Gläser. Der Champagner rann angenehm kühl durch die Kehle. Sie kicherte: »Ich werde einen Schwips kriegen.« Er grinste: »Ich werde schon auf dich aufpassen. Trink nur weiter.«
»Es ist unwahrscheinlich«, seufzte Garnet; »wenn ich mir vorgestellt hätte, ausgerechnet ich würde einen Mann heiraten, der mir so etwas sagt!« Ach, es war alles herrlich und wunderbar.
Das Orchester wechselte jetzt in eine lautere und bewegtere Melodie über; der Vorhang begann sich in der Mitte zu teilen. Garnet wandte den Blick der Bühne zu. Vor einem mit Blumen bemalten Hintergrund verbeugten sich zwei Männer in rotem und gelbem Trikot: die Brüder Barotti.
Die Barottibrüder warfen Teller in die Luft und fingen sie mit Stangen wieder auf. Dann balancierten sie die Stangen mit den Tellern darauf auf ihren Nasen. Sie entfalteten dabei große Geschicklichkeit, aber es war nicht sehr aufregend, und nur wenige Zuschauer sahen überhaupt hin. Es betraten immer noch neue Gäste das Theater, und das Stimmengewirr im Saal übertönte noch die Musik. Die Barottis schienen ganz unwichtig; sie hatten nur die Aufgabe, die Vorstellung zu eröffnen. Garnet gefielen sie recht gut; aber sie hatte Vorführungen dieser Art schon gesehen, deshalb war auch sie nicht sonderlich beeindruckt. Die übrigen Zuschauer waren es zweifellos noch weniger, aber sie waren gutmütige Leute; die Jongleure bekamen nach Beendigung ihrer Vorstellung reichlichen Applaus.
Als sie abtraten, waren die meisten Sessel und Stühle besetzt. Die Gäste hatten sich niedergelassen, um in Behagen ihre Getränke zu schlürfen und sich an der Vorstellung zu erfreuen.
Es traten nun ›Die berühmtesten Schönheiten des Kontinents‹ auf. Das waren ein Dutzend gleichmäßig grüngekleideter Chorgirls. Sie wirbelten ihre Röcke in aufreizender Weise und zeigten eine größere Schaustellung von Beinen, als Garnet jemals an einem öffentlichen Ort erblickt hatte. Dazu sangen sie gemeinsam einen Schlager, der davon handelte, daß sie zu gleicher Zeit mehrere Männer liebten und daß das eine aufregende und verwirrende Sache sei. Vom Balkon herunter rief eine Männerstimme: »Hebt sie höher, Mädchen!« Die Mehrzahl der Zuschauer schien die Aufforderung spaßig zu finden, denn jetzt begannen viele Männerstimmen im Rhythmus der Musik zu brüllen: »Hebt sie höher, Mädchen! Hebt sie höher, Mädchen!« Garnet fand, der Tanz der Girls auf der Bühne offenbare eigentlich genug, und es sei nicht gerade nötig, zu fordern, daß die Röcke noch höher gehoben würden.
Die Girls bekamen sehr viel mehr Applaus als die Jongleure. Sie traten ab und kamen gleich darauf noch einmal zurück, um nun einen Tanz mit männlichen Partnern zu zeigen. Vom Balkon rief jemand: »He, Rotkopf, dritte von rechts, du verlierst dein Höschen!« Die Behauptung war frei erfunden, aber das Girl schien verwirrt, es unterbrach seinen Tanz, und es dauerte ein Weilchen, bis es sich wieder gefangen hatte. Alles schrie vor Vergnügen. Als die Girls mit ihren Partnern zur Bühne hinaustanzten, gab es stürmischen Applaus.
Garnet fühlte, wie ihre Wangen brannten; sie beugte sich etwas vor und senkte verwirrt den Kopf. Oliver fragte mit einem leichten Unterton: »Bist du schockiert?«
»Ich – fürchte, ich bin’s«, bekannte Garnet. »Ich habe nie etwas Ähnliches gesehen.«
»Sollen wir gehen?« neckte er.
»O nein!« Sie sah ihn an, sah den Mutwillen in seinem Gesicht und gab sich selbst den heimlichen Befehl, keine Verwirrung mehr zu zeigen.
Die Bühne war jetzt leer. Zwei Männer traten von links und rechts auf und verstärkten die Beleuchtung.
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