Kalifornische Sinfonie
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Sie hörte die Stimmen von Mr. Kerridge und Nikolai hinter sich, die aus dem Haus herausgestürzt kamen, um John zu begrüßen. John knurrte grimmig: »Hol sie der Teufel, diese – so nett sie auch sind!« Er ließ Garnets Hand los und wandte sich um, seinen Gastgeber zu begrüßen. Mr. Kerridge versicherte, sein altes Zimmer warte auf ihn, und Doña Manuela trieb bereits die Dienerschaft an, für Wein, Gebäck und Waschwasser zu sorgen. Die Männer gingen zusammen ins Haus und ließen Garnet zurück, die wütend war, weil Mr. Kerridge und Nikolai mit auf Johns Zimmer gehen durften und sie nicht. Aber dann kam die Welle der Freude wieder in ihr hoch. John liebte sie! Er war ihretwegen gekommen, und ein Traum würde sich erfüllen.
John erschien erst wieder zum Abendessen, gewaschen und rasiert nun, in blütenweißem Hemd und schwarzen Samthosen mit roten Seidenbiesen. Später versammelten sich die erwachsenen Bewohner des Hauses im Wohnzimmer, wo Mr. Kerridge den seltenen Luxus eines Kaminfeuers befohlen hatte. John kam frisch vom Kriegsschauplatz, und sie hatten viele Fragen an ihn zu richten. Während die Bedienten Wein und Waffeln anboten und die Männer von den Kriegsereignissen redeten, döste Doña Manuela Keks knabbernd und Wein schlürfend vor sich hin. Zuweilen schreckte sie auf und befahl einem Diener, frisches Holz auf das Feuer zu legen. Einen zweiten sandte sie nach Wein aus und einen dritten schrie sie an, wo der Cha für Doña Florinda bleibe. Daß diese Narren doch nie in den Kopf bekamen, daß die silberblonde Yankeedame keinen Wein trank! Ihrem Sohn Arturo sagte sie, er möge ihr bitte die Flasche Angélica bringen, und außerdem möge er seiner Frau sagen, sie solle endlich aufhören, mit den Röcken zu rascheln, damit man verstehen könne, was Don Juan Ives erzähle. Sie sorgte dafür, daß alle in Bewegung blieben. Doña Manuela schlürfte den süßen Angélica und döste allgemach wieder ein, und Johns Stimme erreichte sie nur von ungefähr.
John berichtete von der Schlacht bei San Pascual, vom Marsch nach San Diego und von den Kämpfen entlang dem San Gabriel-Fluß, von dem Einmarsch in Los Angeles. Es schilderte General Kearny als einen Mann, der nie ein Wort zuviel sprach, aber stets zur Stelle war, wenn es darauf ankam. Mit ironischem Lächeln erzählte er von Frémont.
Kurz nachdem die Truppen Los Angeles eingenommen hatten, war Frémont mit seinem Bataillon angerückt gekommen. Seine Männer waren müde und zerschlagen. Stockton hatte Frémont zum Stadtkommandanten ernannt. Er selbst mußte mit General Kearny nach Monterey hinauf. Es mußte jemand in Los Angeles bleiben, um die Befehle Kearnys durchzuführen. Frémont freilich hatte nicht die geringste Neigung, anderer Leute Befehle auszuführen, auch nicht die eines Generals. Er hatte das größte Haus, das er in der Stadt finden konnte, beschlagnahmt und darin die Kommandantur untergebracht. Alsdann hatte er sich unter erheblichem Prachtaufwand als Gouverneur niedergelassen. John äußerte die Befürchtung, dieser geltungsbedürftige Gentleman möchte eines Tages Hals über Kopf in neue Unruhen hineinsteuern.
Da außer Mr. Kerridge kein Familienmitglied ein Wort Englisch verstand, hatte John spanisch gesprochen. Er legte zwischen den einzelnen Sätzen kleine Pausen ein, um sich zu vergewissern, ob Garnet und Florinda ihm zu folgen vermöchten; zuweilen bat Florinda darum, ihr das Gesagte zu verdolmetschen. Garnet unterbrach seine Erzählung mit keinem Wort. Sie saß still auf ihrem Stuhl, den Kopf über die Häkelarbeit gebeugt. Das Kerzenlicht war eigentlich viel zu schwach für eine so diffizile Arbeit, aber sie häkelte trotzdem, weil die Tätigkeit sie daran hinderte, unausgesetzt John anzusehen. Das mußte sie vermeiden, denn es wäre ihr nicht gelungen, ihren Augenausdruck zu beherrschen. Zuweilen sah sie trotzdem auf, und immer begegneten ihre Augen denen von John, und die hielten sie dann sekundenlang fest, so zwingend und so intensiv, daß sie es fühlte wie einen Kuß.
John erzählte unter anderem, daß das Dorf Yerba Buena im Norden in San Franzisko umbenannt worden sei. Florinda nickte beifällig, als sie es hörte. »San Franzisko«, sagte sie, »das ist leichter auszusprechen.«
Das sei letzten Endes auch der Grund für die Umbenennung gewesen, meinte John. Das Dorf sei schnell gewachsen; es habe jetzt bereits vierhundert Einwohner, fast ausnahmslos Amerikaner, denen Yerba Buena geradeso schwer über die Zunge
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