Kalifornische Sinfonie
gewesen. Er sei einer der größten und bekanntesten amerikanischen Rancheros im Lande und habe selbstverständlich nicht gezögert, das die amerikanischen Truppenführer wissen zu lassen. Er habe den USA-Truppen bedeutende Hilfe angedeihen lassen, indem er Lebensmittel und Obdach zur Verfügung stellte; kurz nach dem Einmarsch sei er dann in Los Angeles erschienen und habe sich dort eifrig zu tun gemacht. Früh im Jahr sei er dann nach Norden gegangen, vermutlich nach Monterey und nach San Franzisko.
»Was will er denn da oben?« fragte Florinda.
»Oh, sich umsehen, Gelegenheiten wahrnehmen«, lachte John. »Ein Mann weiß ja nie, wann und wo sich ihm eine Chance bietet. Das verstehen Sie doch.«
»O ja«, sagte Florinda, »das verstehe ich. Von mir aus mag er ruhig seine Chancen wahrnehmen. Ich hoffe nur, daß wir ihn nicht mehr zu sehen bekommen. Ich muß bei seinem Anblick immer an eine Rumpelkammer voller Spinnweben denken.«
Doña Manuela erwachte und verkündete, es sei Zeit, schlafen zu gehen. Da es tatsächlich bereits weit nach Mitternacht war, widersprach niemand, und die Gesellschaft löste sich auf.
Garnet und Florinda betraten ihr Zimmer, aber Garnet verspürte das Bedürfnis, noch ein paar Minuten allein zu sein. Sie sagte deshalb, sie habe Kopfschmerzen von der Häkelarbeit bekommen und wolle noch ein bißchen frische Luft schnappen, bevor sie sich niederlege. Sie schlang einen Schal um den Kopf und ging über den Korridor und durch die geradeaus führende Türe auf den abgeschlossenen Jungfrauenhof.
Die Luft war kühl, und es war sehr dunkel. Das Laub der Bäume raschelte im leichten Wind. Am Himmel funkelten die Sterne und die schmale Sichel des Mondes. Die Bäume standen hier sehr dicht; sie sollten während der Tageshitze Schatten spenden. Garnet schloß leise die Tür hinter sich und ging auf eine Gruppe Zitronenbäume zu, die neben der den Hof abschließenden Mauer standen. Die Luft war voll kräftiger, würziger Gerüche; eine Erquickung nach der rauchigen Atmosphäre des Wohnzimmers. Die Weintrauben an der Mauer raschelten im Wind wie Taftunterröcke. Garnet brach ein Blatt von einem Zitronenbaum und zerrieb es zwischen den Fingern, den säuerlichen Duft mit einem tiefen Atemzug einsaugend. Ihr Fuß stieß gegen eine Bank. Sie setzte sich, lehnte sich wohlig zurück und begann eine kleine Weise vor sich hin zu singen. Die Dunkelheit gab ihr das Gefühl von Freiheit und Geborgenheit zugleich. Florinda ist hoffentlich eingeschlafen, dachte sie. Plötzlich raschelte es neben ihr an der Mauer im Weinlaub, wie nach einem heftigen Windstoß. Dann knackten die Zweige über ihr, und der dunkle Körper eines Mannes sprang dicht neben ihr zu Boden. Garnet sprang erschrocken auf; aber bevor sie noch einen Schritt tun konnte, hörte sie das Flüstern einer bekannten Stimme: »Ich bin es, Garnet – John.« Sie vermochte nur die Umrisse seiner Gestalt zu erkennen. Einen Augenblick zitterte sie bei dem Gedanken an das Risiko, das er einging. Sie wußte: Doña Manuelas Söhne würden keinen Augenblick zögern, auf jede männliche Gestalt zu schießen, die sich in dem Hof aufhielt, der direkten Zugang zu den Gemächern ihrer Schwestern hatte. »John«, flüsterte sie atemlos, »wissen Sie denn nicht, wo Sie sind?«
John lachte lautlos: »Natürlich weiß ich, wo ich bin.« Er sprach so leise, daß das Rascheln der Blätter seine Worte übertönte, aber Garnet verstand ihn. Sie würde diese kühle Stimme mit dem leicht ironischen Unterton an jedem Ort der Welt aus Hunderten von Stimmen herausgehört haben. »Ich ging über den Außenhof nebenan«, flüsterte John, »und hörte jenseits der Mauer jemand leise singen. Ich kam näher heran, hörte, daß es englische Laute waren, die da gesungen wurden, und daß es nicht Florinda war, die da sang. Also waren Sie es. Deshalb kletterte ich über die Mauer.« Sie lachten leise und hielten sich die Hand vor den Mund. »Ich weiß, es ist höchst verwerflich«, flüsterte John, »aber ich fühlte das dringende Bedürfnis – dir einen Gutenachtkuß zu geben. Hast du etwas dagegen?«
Sie zitterte. Er nahm sie in die Arme und küßte sie. Garnet nahm für einen Augenblick noch wahr, daß die Bäume über ihr murmelten, daß der Wind ihr eine Locke von Johns Haar in die Augen trieb, dann nahm sie gar nichts mehr wahr. Sie wußte nur noch, daß sie in Johns Armen lag, daß er sie hielt, daß er sie küßte und daß sie ihn liebte. Sie liebte seine Kraft, seine
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