Kalifornische Sinfonie
verwässert und von Regeln diktiert; es war ein reiches, saftiges Leben mit Menschen, die etwas wollen und etwas tun und ein großes Geschrei darum machen. Aber Florinda war nicht unter all den hastenden und lärmenden Menschen.
Garnet sagte sich, daß es schließlich auch keinen Grund gab, warum sie hier sein sollte. Gewiß, sie hatte ein Schiff nach St. Louis genommen, aber das konnte sie in jedem Hafen nördlich von New Orleans verlassen haben. Und wenn sie wirklich bis St. Louis gefahren sein sollte, so brauchte sie auch nicht mehr hierzusein. Es gingen hier jeden Tag Postkutschen nach dem Landinneren ab. Vielleicht hatte Florinda irgendwo Freunde wohnen, die sie verbergen würden, bis der elende Reese in der Sache des Selkirk-Mordes für schuldig erklärt war.
Voll leidenschaftlichen Mitgefühls hoffte Garnet, daß Florinda auf dem Schiff niemand begegnet sein möchte, der sie wiedererkannte, und daß sie ihr dennoch eines Tages wieder begegnen würde, wenn nicht in diesem und im nächsten, dann vielleicht im übernächsten Jahr. Daß sie eines Tages direkt oder über die Anschrift ihres Vaters eine Nachricht von ihr erreichen würde.
Garnet und Oliver verließen St. Louis im April. Sie nahmen ein Schiff, das sie den Missouri hinauffuhr, zweihundertfünfzig Meilen in westlicher Richtung bis Independence. Hier wohnten sie in einem weithin bekannten Hotel, das von Mr. Smallwood Noland geführt wurde. Oliver sagte Garnet, daß dies das letzte Hotel auf nordamerikanischen Boden sei. Es gab noch ein Hotel auf einer Insel im Pazifischen Ozean, in einer Stadt namens Honolulu; aber zwischen Independence und Honolulu gab es nicht ein für öffentliche Übernachtungszwecke eingerichtetes Haus. Von hier bis Santa Fé und von Santa Fé bis Kalifornien würden sie für sich selbst sorgen müssen. In Santa Fé pflegten die Händler bei Privatfamilien zu wohnen. Während ihres Aufenthaltes in Kalifornien würden sie auf der Ranch von Olivers Bruder Charles leben. Independence war nicht so groß wie St. Louis, aber es war möglicherweise eine noch geräuschvollere Stadt, noch bevölkerter und voll brodelnden Lebens. In den belebten Straßen priesen grellfarbige Plakate und Schilder alle möglichen Waren für den Santa-Fé-Handel an: ›Alles neu! Alles billig!‹ Jedermann in der Stadt schien irgend etwas verkaufen zu wollen. Die Händler kauften Ochsen und Maulesel und heuerten Treiber an; daneben schlossen sie in letzter Minute eilige Geschäfte ab. Sie nahmen alles mit, was die Leute in Neu-Mexiko im Laufe des Jahres voraussichtlich brauchen konnten. Die Händler feilschten und kauften, und ihre Männer verpackten das Gekaufte und luden es auf die Wagen.
Während seine Leute die eingekauften Waren verpackten, zeigte Oliver Garnet die Stadt. Er nahm sie auch Morgen für Morgen mit, um den Männern bei der Packarbeit zuzusehen. Olivers Kolonne zählte vierzehn Wagen. Garnet staunte über die ungeheure Größe dieser Planwagen. Oliver erklärte ihr, die Fahrzeuge des Santa-Fé-Handels seien die größten Planwagen der Welt. Jedes einzelne Gefährt wog voll beladen fünf Tonnen. Der Inhalt eines einzigen Wagens würde, nebeneinander ausgebreitet, eine Fläche von einem Morgen bedecken. Um einen solchen Wagen über ein ebenes Land zu ziehen, brauchte es zehn Joch Ochsen. War das Land rauh und gebirgig, mußten die Gespanne unter Umständen verdoppelt und verdreifacht werden. Garnet meinte, ob es denn nicht leichter und einfacher sei, eine größere Anzahl kleinerer Wagen zu beladen. »Grundsätzlich schon«, lachte Oliver; aber die wenigen großen, bis unter das Plandach vollgestopften Prärieschoner hätten in diesem besonderen Falle auch ihren ganz besonderen Sinn. Sie würden von den Yankees benützt, um dem Gouverneur von Santa Fé eine Nase zu drehen.
Er erklärte: »Santa Fé ist ein Teil Mexikos, und Mexiko ist eines der am schlechtesten regierten Länder der Welt. Der gegenwärtige Gouverneur von Santa Fé ist ein großes, kugelrundes Sündenfaß namens Armijo. Er erfreut sich allgemeiner Verachtung, auch in der Stadt selbst. Wie die Leute sagen, hat er seine glorreiche Laufbahn eines Tages damit begonnen, Schafe zu stehlen und sie dann den Eigentümern wieder zu verkaufen.« Señor Armijo, erzählte Oliver weiter, habe die Macht, alle aus den Staaten eingeführten Waren mit Zoll zu belegen. Der weitaus größte Teil dieser Zolleinnahmen wandere in seine eigene Tasche. Die Yankees wüßten das und die eingeborenen
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