Kalifornische Sinfonie
Oliver und sich nur das Allernötigste waschen. Nachdem sie das kleine Geschäft beendet und die Wäschestücke an der im Wagen ausgespannten Leine aufgehängt hatte, ließ sie ihr Haar herab, breitete eine Matratze auf dem Wagenboden aus und legte sich nieder. Ach, sie war so entsetzlich müde! Es war gut, mit gelöstem Haar zu liegen. Ob es wohl Charles auch so gut wie Mr. Reynolds gefällt? dachte sie. Wenn sie Charles gefiel, würde er Oliver vielleicht weniger zürnen, weil er ein amerikanisches Mädchen geheiratet hatte statt eines kalifornischen. Aber schließlich war das ganz gleichgültig; es ging Charles nichts an. Garnet schloß die Augen und schlief ein.
***
Um drei Uhr spannten die Männer Ochsen und Maulesel wieder an. Nachmittags pflegte Luke die Kutsche zu fahren; so konnten Garnet und Oliver reiten.
Sie ritten an die Spitze der Karawane, um dem Staub zu entfliehen. Jetzt, da die Aussicht nicht mehr durch die vor ihnen fahrenden großen Wagen blockiert war, konnten sie in der Ferne den Round Mound erblicken. Er sah aus wie ein Kegel mit abgerundeter Spitze, der sich abrupt und übergangslos aus der Ebene erhob.
»Ich hätte ihn mir größer vorgestellt«, sagte Garnet.
»Oh«, lachte Oliver, »es reicht. Er ist tausend Fuß hoch.«
»Aber das ist doch nicht möglich.«
»Was meinst du, wie weit wir noch von ihm entfernt sind?«
»Etwa eine halbe Meile, denke ich.«
»Es sind acht Meilen bis dahin«, sagte Oliver. »Die Luft in diesen Gegenden verursacht fortgesetzte optische Täuschungen. Sie ist so dünn, daß alle Dinge, sobald du aus den Staubwolken heraus bist, aussehen, als wären sie unmittelbar vor dir.«
Garnet starrte ungläubig auf den Berg. Er schien zum Greifen nah. Sie vermochte das Strauch-und Buschwerk zu erkennen, das in den Felsspalten wuchs.
Jetzt, da der Staub hinter ihnen war, erschien die ganze Landschaft auf eine sonderbare Weise verwandelt. Die Sonne glitzerte in der dünnen Luft und zauberte merkwürdige Wellen auf den Boden zu ihren Füßen. Die Wellen waren in fortgesetzter Bewegung und glichen auf verblüffende Weise den wirklichen Wellen kleiner Teiche. Garnet wußte, daß das eine Täuschung war. Aber obwohl ihr Verstand ihr sagte, daß hier nirgendwo ein Teich ist, sahen ihre Augen das Wasser. Es sah aus wie richtiges Wasser. Sie sah Bäume, die ihre Kronen über den Teich wiegten und vom Wasser widergespiegelt wurden. Sobald sie dann unmittelbar heran war, wischte eine Zauberhand die Teiche weg. Die Bäume erwiesen sich als Steine, Grasbüschel oder kahle Sträucher, und wo eben noch glitzerndes Wasser war, war nichts als stäubender Sand. Aber sie brauchte nur den Blick zu heben, um schon einen anderen Teich vor sich zu sehen. Sie blinzelte mit den Augen, sah zur Seite und versuchte die Luftspiegelung zu ignorieren. Aber der Teich blieb da.
Sie fragte Oliver, ob die alten Kalifornienfahrer die nicht vorhandenen Teiche auch sähen. »Ja«, antwortete er, »sie sehen sie ebenso wie du, und das hat zuweilen böse Folgen. Die Männer sind so an den Gedanken gewöhnt, daß da kein wirklicher Teich ist, daß sie nicht selten in großer Wassernot einen tatsächlich vorhandenen Teich, der nur eine Meile links oder rechts ihres Weges liegt, übersehen und ignorieren.«
Die Szenerie wurde seltsamer und seltsamer. Es war, als bewegten sich alle Dinge in dem flirrenden, schwankenden Licht. Man unterlag fortgesetzt peinlichen Täuschungen, vermochte wirklich und unwirklich nicht mehr zu unterscheiden. Hatte man seinen Verstand an den Gedanken gewöhnt, daß alles, was man unmittelbar vor sich sah, in Wirklichkeit weit entfernt war, dann konnte es geschehen, daß man plötzlich vor Dingen stand, die man in sechs oder acht Meilen Entfernung vermutet hatte. Ein Grasbüschel sah aus wie ein Büffel, bleichende Tierknochen erweckten den Eindruck streifender Indianer. Die Pfadsucher kannten dieses Vexierspiel genau, sie ritten mit starren Gesichtern und zusammengebissenen Zähnen ihres Weges und sprachen mit niemand. Überall in dieser vertrackten Landschaft gab es falschen Alarm; sie mußten höllisch aufpassen und alle Sinne zusammennehmen, um sich nicht täuschen zu lassen. Wenn sie eben noch hundert Indianer erblickt hatten, die gar nicht da waren, konnte es ihnen im nächsten Augenblick geschehen, daß sie wirklich auf sie einsprengende Indianer für Grasbüschel hielten.
Die falschen Teiche schlugen unausgesetzt ihre Wellen. »Wann werden wir wieder wirkliches Wasser
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