Kalix - Die Werwölfin von London
verdrießliches Gesicht und ließ sich tiefer in das Sofa sacken.
»Nein. Es war schrecklich.« »Waren die Vorlesungen schwer?«
»Die Vorlesungen? Darauf habe ich ehrlich gesagt gar nicht geachtet. Heute war ein besonders schlechter Tag, weil ich zu Alicia gegangen bin und mit ihr geredet habe, nachdem Moonglow mich praktisch dazu gezwungen hat, und als wir uns unterhalten haben, hat sie gelangweilt ausgesehen und gemeint, sie hätte jetzt etwas anderes zu tun.«
»Was denn?«
»Das hat sie nicht gesagt.« Daniel seufzte.
»Ich bin der größte Versager, was Mädchen angeht, das muss man so sagen.«
»Dich mögen doch bestimmt viele Mädchen«, sagte Kalix, die Daniel nicht gerne so deprimiert sah.
»Na ja, nein. Nicht gerade viele. Sehr wenige sogar. Eigentlich 254
kein Einziges. Moonglow mag mich nicht und Alicia nicht und auch nicht die paar hundert Mädchen, die jeden Tag durch das King's College laufen.«
»Und was ist mit diesem Mädchen von der Party?«
Die Erinnerung an dieses betrübliche Ereignis machte Daniel noch deprimierter.
»Ich esse jetzt den Kühlschrank leer und trinke den letzten Wein.«
Daniel zog mit betrübter Miene Richtung Küche ab. Kalix blieb einen Moment lang ratlos sitzen. Ihr gefiel es gar nicht, dass Daniel traurig war. Er war immer so nett zu ihr. Sie verstand nicht, warum ihn kein Mädchen mochte. Kalix hätte ihn gern aufgemuntert, aber sie wusste nicht recht, wie man so etwas anstellte.
Normalerweise war sie diejenige, die deprimiert war. Sie hatte keine Erfahrung darin, andere aufzuheitern.
Etwas unsicher auf den Beinen stand Kalix auf. Der Tag hatte ihr eine Menge abverlangt. Der Kampf war sehr gewalttätig gewesen, und die Kraft, die ihre Verwandlung in eine Werwölfin ihr verliehen hatte, war mittlerweile aufgebraucht. Sie hatte seit Tagen nichts gegessen. Das Laudanum, das sie nach ihrer Rückkehr getrunken hatte, machte sie abwechselnd schläfrig und euphorisch. Sie folgte Daniel in die Küche.
»Ich mag dich«, sagte sie, dann umarmte sie ihn fest und küsste ihn.
Daniel war erschrocken. So erschrocken, dass er sich nicht einmal rührte. Er fand, er sollte die junge Werwölfin wirklich nicht küssen, aber er war zu überrascht, um sich loszumachen. Außerdem umarmte Kalix ihn sehr fest. Und Daniel war so lange nicht mehr geküsst worden, dass es ihm gar nicht so unangenehm war.
»Ahm . . hallo . .«, sagte jemand ein paar Schritte neben ihnen.
Daniel sprang zurück und knallte recht schmerzhaft gegen die Spüle. Zu seinem Entsetzen stand Moonglow vor ihm, die ihn voller Empörung ansah.
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»Hü«, sagte Daniel. Er grinste sie übertrieben fröhlich an, um sich möglichst gelassen zu geben, und wünschte sich gleichzeitig, er würde auf der Stelle in eine andere Dimension teleportiert werden.
»Was ist denn hier los?«, fragte Moonglow.
»Ich glaube, ich gehe in mein Zimmer«, sagte Kalix und trottete davon.
Moonglow sah ihr hinterher, dann wandte sie sich an Daniel. »Du hast sie geküsst?« »Natürlich nicht.«
»Was soll das heißen, natürlich nicht? Ich habe dich doch gesehen!«
»Sie hat mich einfach gepackt und geküsst. Sie hat mich überrumpelt.«
Moonglow runzelte die Stirn.
»Du hast aber nicht versucht, sie abzuwehren.«
»Ich wollte das nicht!«, sagte Daniel. »Es ist einfach passiert!«
Moonglow räumte ihre Einkäufe in den Kühlschrank. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass Daniel Kalix geküsst hatte. Auf jeden Fall hätte sie damit nicht gerechnet. Sie war so überrascht, dass sie den verdächtig aussehenden jungen Mann, der vor ihrem Haus herumgelungert hatte, ganz vergaß. Als sie die Haustür erreicht hatte und noch einmal nachsehen wollte, war er verschwunden.
»Sie war immerhin krank«, sagte Moonglow. »Und sie ist erst siebzehn.«
»Wäre das in Werwolfjahren gerechnet nicht älter?«, meinte Daniel. »Du weißt schon, wie bei Katzen?«
Daniel war die ganze Sache entsetzlich peinlich. Er wusste, dass er sich nicht gerade bemüht hatte, sie zu vermeiden, obwohl er versuchte, so zu tun.
»Kam einfach auf mich zu und hat mich gepackt. Ich habe es gerade beendet, als du hereingekommen bist, wollte sie gerade wegschieben ...«
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»Hör schon auf«, sagte Moonglow und musste fast lächeln. »Ihr seid beide erwachsen. Mehr oder minder.«
Vom kleinen Hof hinter der Küche aus sah Gawain zu. Er hatte alles durch das Küchenfenster beobachtet. Er hatte gesehen, wie Kalix einen anderen Mann geküsst
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