Kalix - Die Werwölfin von London
sagen kann.«
Wie konnte sie nach Kennington kommen? An der nächsten Ecke fiel ihr eine Telefonzelle auf. Kalix erinnerte sich, dass Moonglow ihre Telefonnummer hinten in ihr Tagebuch geschrieben und gesagt hatte, sie könne sie vielleicht irgendwann brauchen. Kalix holte ihr Tagebuch aus der Tasche, suchte die Nummer heraus und ging zum Telefon. Sehr zögerlich wählte sie. Ihr Gefühl der Entfremdung war mittlerweile so stark, dass sie damit rechnete, wer immer das Gespräch annahm, würde einfach auflegen.
Daniel ging beinahe sofort ans Telefon.
»Hallo?«
Langes Schweigen.
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»Hallo?«
»Ich bin's, Kalix.« »Kalix! Wo bist du?«
»Bei Dominil. Sie ist verletzt. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
Während Kalix sprach, fühlte sie, wie ihr eine einzelne Träne ins Auge stieg.
Wütend blinzelte sie die Träne weg. »Ich hole Thrix«, sagte Daniel. Die Zauberin kam ans Telefon. »Was ist passiert?«
»Ich habe Dominil gerettet. Sarapen hat sie angegriffen. Ich glaube, sie stirbt.«
»Wo bist du?«
»In der Nähe vom Hyde Park.« »Wo genau?«
Kalix wusste es nicht. Die Zauberin hörte ihrer kleinen Schwester die aufsteigende Panik an und sprach ganz ruhig mit ihr.
»Schau auf das Schildchen in der Telefonzelle. Darauf müsste die Adresse stehen. Wenn du sie mir sagst, kommen wir sofort und holen euch.«
Kalix suchte nach der Adresse, aber das war nicht so einfach. In der Telefonzelle waren viele Zettel, Werbung von Prostituierten, und weil Kalix kaum lesen konnte, wusste sie nicht, wonach sie suchen sollte.
»Hier sind ganz viele Zettel«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wo die Adresse ist. Und
-«
Kalix unterbrach sich und schnupperte, »-außerdem kommen Werwölfe näher.« Die Zauberin blieb ganz ruhig.
»Das Schildchen mit der Adresse der Telefonzelle muss direkt neben dem Telefon sein. Es ist weiß mit schwarzer Schrift und einem roten Rand.«
»Ich sehe es.«
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»Was steht da?«
Einen schier endlosen Moment lang schwieg sie. »Wie lautet die Adresse?«, drängte Thrix.
»Ich kann sie nicht lesen«, gestand Kalix kläglich. Dominil würde sterben, weil Kalix die Adresse nicht lesen konnte. »Kannst du sie buchstabieren?«
Kalix strengte sich an, aber das kleine Schildchen war bei der schlechten Beleuchtung kaum zu entziffern. »L-Y-A-L-L-S-T-R-E-«
»Lyall Street. Südlich vom Park. Kenne ich. Bleib, wo du bist, ich komme sofort mit Malveria.«
Thrix legte auf. Auf dem Gehweg neben dem Telefon stöhnte Dominil wieder auf. Das Blut auf ihrem Körper war zu dicken, roten Klumpen geronnen, aber aus ihrer Nase floss noch frisches Blut; ein sehr schlechtes Zeichen. Dominil hatte innere Verletzungen, wie zuvor schon Kalix.
»Die Feuerkönigin hat mich gerettet, als ich verletzt war«, versuchte Kalix, ihr Mut zuzureden. »Und sie ist gleich hier.«
Die Witterung der Werwölfe war stärker geworden. Sie kamen näher. Dominil hatte die Augen jetzt geschlossen. Kalix dachte, sie sollte wahrscheinlich mit Dominil reden, um sie am Leben zu halten, um sie nicht zu den Wäldern der toten Werwölfe gehen zu lassen.
»Wach auf«, bat Kalix eindringlich, aber Dominil reagierte nicht. Kalix war sicher, dass sie sterben würde, bevor Thrix eintraf. Die junge Werwölfin überlegte fieberhaft, was sie sagen konnte, aber ihr fiel nichts ein. In der Stille spürte sie, wie Dominus Leben ihr entglitt.
»Ich habe Puffy, den Pinguin, gerettet«, sagte Kalix plötzlich.
Dominus Augen öffneten sich einen Spalt breit.
»Was?«
»Ich habe Puffy, den Pinguin, gerettet. Auf Moonglows Computer. Das ist ein Spiel. Und ich habe den Pinguin gerettet.«
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Dominil starrte Kalix aus halbgeschlossenen Augen an. Und zum ersten Mal, solange Kalix sich erinnerte, lächelte sie. »Gut gemacht«, flüsterte Dominil.
Zögerlich lächelte Kalix zurück.
»Es war schön«, sagte Kalix. »Ich mag Puffy. Ich habe ihn gerettet.«
»Dann bin ich sicher, dass du mich auch retten kannst«, flüsterte Dominil.
Nun roch es sehr deutlich nach Werwölfen. Kalix sah besorgt die Straße hinauf.
»Thrix ist bald hier. Mit Malveria. Sie werden dich heilen. Willst du noch mehr Laudanum?«
Dominil nickte. Kalix ließ sie einen Schluck nehmen.
»Pass auf die Flasche auf«, sagte Kalix. »Da vorne kommen Werwölfe, und ich muss jetzt gegen sie kämpfen.«
Sarapen kam mit raschen Schritten auf sie zu: riesig, düster und bedrohlich.
Andris MacAndris war neben ihm. Als Werwolf war er beinahe so groß wie Sarapen.
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