Kalix - Die Werwölfin von London
hättest deine ganze Familie aus dem Weg geschafft«, sagte Thrix.
»Das stimmt. Agrivex ist nicht tatsächlich mit mir verwandt.
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Aber ich betrachte sie mittlerweile als Nichte und werde sie vielleicht sogar später adoptieren oder etwas Ähnliches. Nach menschlichen Maßstäben müsste sie etwa siebzehn Jahre alt sein, aber du weißt ja, dass die Zeit bei uns etwas anders verläuft als hier.«
Die Zauberin war überrascht, dass Malveria mit solcher Wärme über eine ihrer Untertaninnen sprach. Wenn sie von ihrem Reich erzählte, klang sie normalerweise nur gelangweilt.
»Sie war eine Waise, die illegitime - ist dieses Wort richtig? -Tochter einer Prostituierten aus dem Feuertempel, die bei der Geburt starb. Vor etwa zehn Jahren, als Agrivex sieben war, sollte sie auf die übliche Art geopfert werden.
Aber während die anderen Kinder ordentlich in einer Reihe standen, um sich in einen kleinen Vulkan werfen zu lassen, was als ziemliche Ehre gilt, ist sie wütend herumgetrampelt, hat mit den Füßen gestampft und immer wieder gesagt, sie würde sich nicht opfern lassen, sie wäre eine kleine Prinzessin. Sie war richtig hartnäckig und wollte einfach nicht mitarbeiten, sie hat mich böse beschimpft und mir schreckliche Rache geschworen. Zum Beispiel hat sie gesagt, wenn wir sie opfern, würde sie nie wieder mit mir reden. Natürlich fand ich ein Mädchen mit so viel Temperament faszinierend und habe ihr Leben verschont. Seitdem wohnt sie im Palast und geht jedem auf die Nerven, sogar mir. Ich fürchte, eines Tages könnte sie versuchen, meine schönen Kleider zu stehlen, aber zurzeit macht sie eine Phase durch, in der sie nur vollkommen zerlumpte Sachen trägt. Das Temperament der jungen Agrivex imponiert mir zwar, trotzdem musste ich sie bestrafen, als sie zu meinem letzten Bankett in einer zerrissenen Hose erschienen ist. Man hat ja immerhin noch Grenzen.«
Die Feuerkönigin stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf.
»Ich werde nun gehen und das Problem der bösen Prinzessin und ihres verabscheuungswürdigen Spions überdenken.«
Malveria lächelte und verschwand mit einer Geste, zurück blieb nur der Duft von Jasmin. Thrix hatte sie fragen wollen, was aus 148
Kalix geworden war, aber sie hatte es vergessen. Sie hatte Wichtigeres im Kopf.
Über die Sprechanlage bat sie Ann um die Personalakten, und Ann antwortete, sie würde sie sofort hereinbringen.
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Dominil zog den schwarzen Ledermantel an, der ihr bis zu den Knöcheln reichte, packte etwas Kleidung zum Wechseln in eine Tasche, ihre lateinischen Gedichte und ihren Laptop in eine andere und flog nach London. Sie sollte den Cousinen, von denen die Familie nicht sprach, helfen und sie beschützen. Sie wusste nicht, was sie erwartete. Dominil war achtundzwanzig und damit nur sechs Jahre älter als die Zwillinge, aber sie hatte nie viel mit ihnen zu tun gehabt. In ihrer Erinnerung waren sie vor allem ein paar laute Welpen, die ständig mit Kopfhörern durch die Burg liefen, Musik hörten und Luftgitarre spielten. Verasa glaubte, wenn Dominil die Musikkarriere der Zwillinge ankurbeln könnte, wäre das für sie vielleicht Grund genug, für Markus zu stimmen. Dominil hatte den Auftrag angenommen, weil sie gelangweilt war und weil sie helfen wollte, Sarapen einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Dominil und Sarapen hatten sich in dem Jahr nach ihrer Rückkehr aus Oxford in eine leidenschaftliche Beziehung gestürzt. Nachdem sie so viel Zeit mit Studenten verbracht hatte, überraschte es Dominil selbst, dass sie den großen, kräftigen Werwolf plötzlich so anziehend fand. Ihre heimliche Affäre verlief so stürmisch, dass ihre menschlichen Körper am Morgen oft mit Krallenspuren aus der vergangenen Nacht übersät waren. Dann hatte Sarapen herausgefunden, dass sie eine Affäre mit einem jungen Mann aus einer benachbarten Stadt hatte.
Anschließend war der
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junge Mann verschwunden. Sarapen stritt ab, etwas damit zu tun zu haben, aber Dominil war überzeugt davon, dass Sarapen ihn getötet hatte. Und das würde sie ihm nie verzeihen. Sie würde sich rächen.
Dominil war seit Jahren nicht in London gewesen, nicht, seit Verasa eine Ausstellung über byzantinische Kunst in der Courtauld Gallery protegiert hatte.
Dominil hatten die frühen religiösen Gemälde mit ihren ernsten Heiligen gefallen; sogar so sehr gefallen, dass sie später ein ähnliches Bild von Krämer MacDoig gekauft und in ihr Zimmer gehängt hatte. Daneben besaß sie nur wenige
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