Kalle Blomquist
an.
»Wem wirst du als erste auf den Kopf klopfen?« fragte er.
Und Eva-Lotte erzählte. Vom ehrenvollen Krieg zwischen den Roten und den Weißen Rosen. Von wilden Verfolgungsjag-den durch Straßen und über Zäune. Von gefahrvollen Aufträgen, heimlichen Befehlen und spannendem Schleichen in dunklen Nächten. Von dem verehrten Großmummrich, und daß nun bald die Roten auftauchen würden, wild wie die Hornissen, und welch einen großartigen Kampf es dann geben würde.
Das verstand Rasmus gut. Endlich, endlich verstand er den eigentlichen Sinn des Lebens! Eine Weiße Rose mußte man sein! Etwas Herrlicheres konnte es nicht geben. Tief unten in seiner fünfjährigen Seele wurde in dieser Stunde der Wunsch geboren, so sein zu dürfen wie diese Eva-Lotte und Anders und der andere – wie hieß er doch …? Kalle! Genauso stark und groß zu sein, den Roten auf den Kopf zu klopfen, Haarsträuben zu bekommen, auf dunklen Wegen zu schleichen – und all das andere noch. Mit Augen, die voll waren von all seinen Wünschen, sah er begeistert zu Eva-Lotte auf und fragte beschwörend:
»Eva-Lotte, darf ich auch eine Weiße Rose werden?«
Eva-Lotte gab seiner sommersprossigen Nase spielerisch einen leichten Stups. »Nein, Rasmus«, sagte sie. »Dafür bist du noch zu klein!«
Da wurde Rasmus böse. Eine heilige Wut packte ihn, als er die verhaßten Worte »Dafür bist du noch zu klein« hörte. Immer und immer und immer wieder bekam man sie zu hören!
Wütend starrte er Eva-Lotte an.
»Dann finde ich, daß du blöd bist«, sagte er.
Als er das festgestellt hatte, überließ er sie ihrem Schicksal.
Jetzt wollte er zu diesen Jungen gehen und dort fragen, ob er nicht eine Weiße Rose werden dürfe. Sie standen am Zaun und sahen interessiert zum Schuppen hinüber.
»Du, Rasmus«, fragte der, der Kalle hieß, »wem gehört denn das Motorrad da?«
»Vater natürlich«, sagte Rasmus.
»Donner!« murmelte Kalle. »Ein Professor, der Motorrad fährt! Wie sieht das wohl aus? Ich denke, sein Bart wird sich in den Rädern verwickeln.«
»Was für ein Bart?« fragte Rasmus wütend. »Mein Vater hat keinen Bart!«
»Hat keinen?« grunzte Anders. »Jeder Professor hat doch wohl einen Bart?«
»Na bitte, stell dir vor, hat
nicht
jeder Professor«, sagte Rasmus und ging mit würdigen Schritten zur Veranda zurück. Diese Kinder dort waren alle blöd, und er dachte nicht mehr daran, mit ihnen zu sprechen! Als er in die Sicherheit der Veranda gekommen war, drehte er sich um und schrie den dreien am Zaun zu: »Pfui Blase, was seid ihr blöd! Mein Vater ist ein Professor und ohne Bart, und er macht Bleche!«
Kalle, Anders und Eva-Lotte sahen belustigt auf die böse kleine Gestalt oben auf der Veranda. Sie wollten ihn doch nicht reizen. Eva-Lotte machte einige schnelle Schritte, um ihm nachzueilen und ihn ein bißchen zu trösten, aber sie blieb gleich wieder stehen. Denn hinter Rasmus öffnete sich die Tür, und jemand kam heraus. Es war ein sonnenverbrannter Mann in den Dreißigern. Mit festem Griff packte er Rasmus und schwang ihn sich auf die Schulter.
»Du hast recht, Rasmus«, sagte er. »Dein Vater ist ein Professor ohne Bart, und er macht Bleche.« Er kam den Weg herunter, Rasmus auf der Schulter, und Eva-Lotte schämte sich ein wenig: Sie war ja auf privatem Grund und Boden.
»Siehst du nun wenigstens, daß er keinen Bart hat!« schrie Rasmus triumphierend Kalle zu, der sich vorsichtig an der Zauntür herumdrückte. »Dann kann er also auch Motorrad fahren«, setzte er stolz hinzu. Vor seinem inneren Auge sah er seinen Vater mit langem, wallendem Bart, der sich um die Radach-sen wickelte, und es war ein äußerst empörender Anblick für ihn.
Kalle und Anders machten höflich ihre Verbeugungen.
»Rasmus sagt, Sie machen Bleche, Herr Professor«, sagte Kalle schnell, um von der Sache mit dem Bart abzukommen.
Der Professor lachte: »Ja, das kann man beinahe sagen. Bleche … Leichtmetall … Ich habe eine kleine Erfindung gemacht, versteht ihr?«
»Eine Erfindung?« fragte Kalle interessiert.
»Ich habe eine Möglichkeit gefunden, Leichtmetall unzerstörbar zu machen«, erklärte der Professor. »Das nennt Rasmus nun ›Bleche machen‹.«
»Oh, davon habe ich in der Zeitung gelesen«, sagte Anders eifrig. »Dann sind Sie ja direkt berühmt!«
»Klar, sicher ist er berühmt«, bestätigte Rasmus von seinem erhöhten Platz aus. »Und einen Bart hat er auch nicht, bitte sehr!«
Der Professor ließ sich auf keine
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