Kalle Blomquist
wie man mit nackten Füßen über das weiche Gras der Prärie lief, wie das Wasser beim Baden einem warm und freundlich zwischen den Zehen perlte oder wie die Sonne durch die offenen Luken so lange in den Bäckereiboden schien, bis sogar die Holzbalken nach Sommer rochen, – das alles konnte nie aus ihrer Erinnerung getilgt werden. Ja, der Krieg der Rosen war für ewige Zeiten mit Sommerferien, milden Winden und hellem Sonnenschein verknüpft. Herbstdunkel und Winterkälte brachten unwillkürlich Waffenruhe in den Kampf um den Großmummrich.
Wenn die Schule begann, wurden die Feindseligkeiten einge-stellt, und der Krieg flackerte nicht eher wieder auf, als bis die Kastanien in der Hauptstraße wieder in voller Blüte standen und die Frühjahrszeugnisse an den kritischen Elternaugen vorbeige-rutscht waren.
Jetzt aber war Sommer, und der Rosenkrieg blühte mit den echten Rosen im Garten des Bäckermeisters um die Wette.
Schutzmann Björk, der die Kleine Straße entlangschlenderte, wußte, was im Gange war, als er zuerst die Roten den Weg zur Schloßruine galoppieren sah und einige Minuten später die Weißen in sausender Fahrt an ihm vorbeistürmten.
Eva-Lotte konnte gerade noch »Hej, Onkel Björk!« rufen, bevor ihr heller Haarschopf hinter der nächsten Ecke verschwand. Schutzmann Björk lächelte vor sich hin. Dieser Großmummrich – mit wie wenig die Kleinen doch zufrieden waren! Der Großmummrich war ja nur ein Stein, nichts anderes als ein seltsam geformter kleiner Stein, und doch reichte er aus, den Krieg der Rosen in Gang zu halten. Ja, ja, es war oft sehr wenig nötig, um einen Krieg zu entfesseln. Schutzmann Björk seufzte, als er daran dachte, wie wenig tatsächlich dazu nötig war. Dann ging er mit bedachtsamen Schritten weiter, um sich ein Auto anzusehen, das auf der anderen Seite des Flusses falsch parkte. Auf halbem Weg blieb er stehen und starrte philoso-phierend in das Wasser, das langsam unter dem Brückenbogen hervorglitt. Da kam eine alte Zeitung mit dem Strom angese-gelt. Sie schaukelte sacht auf den Wellen. Die großen Buchstaben ihrer Schlagzeile verkündeten, was gestern oder vorgestern oder vor einer Woche neu gewesen war. Björk las sie zerstreut.
UNZERSTÖRBARES LEICHTMETALL
REVOLUTION IN DER KRIEGSINDUSTRIE
Schwedischer Wissenschaftler löst das Problem, das die Wissenschaft der ganzen Welt beschäftigt hat.
Wieder seufzte Schutzmann Björk: »Wie schön wäre es, wenn die Menschheit sich auf den Kampf um Großmummriche beschränken würde. Dann hätte man eine Kriegsindustrie gar nicht nötig …« Jetzt aber mußte er sich um das falsch parkende Auto kümmern.
»Hinter der Schloßruine werden sie bestimmt zuerst suchen«, versicherte Kalle und machte bei diesem Gedanken einen munteren Luftsprung.
»Deshalb habe ich auch dort eine kleine Mitteilung für die Rötlichen hingelegt«, grinste Anders. »Wenn sie die gelesen haben, werden sie schön wild werden. Ich glaube, wir können in der Nähe warten und uns ihren Anfall ansehen.«
Auf einer Anhöhe vor ihnen reckte die alte Schloßruine ihre geborstenen Mauern in den blaßblauen Sommerhimmel. Einsam lag sie dort, eine häßliche alte Burg, seit Jahrzehnten der Verlassenheit und dem Verfall anheimgegeben. Tief unter sich hatte sie die anderen Bauten der Stadt gelassen. Nur das eine oder andere Haus war vorwitzig ein wenig den Berg hinaufge-klettert, um sich der Großen, Gewaltigen oben auf der Höhe zu nähern.
Als letzter Posten stand auf halbem Weg zur Ruine eine altertümliche Villa, fast versteckt hinter einer üppigen Hecke aus Hagedorn, Fliederbüschen und Kirschbäumen. Ein wackliger Zaun umgab das kleine Idyll. Gleich hinter der Villa zweigte ein Pfad vom Fahrweg ab und lief durch den Wald zur Schloßruine hinauf.
Anders hatte beschlossen, hier die Rückkehr der Roten abzuwarten. Er lehnte sich mit dem Rücken bequem an den Zaun.
»Nicht weit von öder Burg …« sagte Kalle und warf sich neben Anders ins Gras. »Kommt ganz darauf an, wie man es ansieht. Wenn wir den Abstand von hier zum Südpol als Vergleich nehmen, können wir den Großmummrich in der Gegend von Jönköping verstecken und doch behaupten, es sei nicht weit von öder Burg.«
»Vollkommen richtig«, stimmte Eva-Lotte zu. »Wir haben nie behauptet, daß das Elsternnest sich durchaus am Rand der Schloßruine befinden müsse. Aber die Roten sind viel zu vernagelt, um das zu begreifen.«
»Eigentlich müßten sie uns auf bloßen Knien danken«, sagte
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