Kalle Blomquist
sie. »Nur weiß keiner, was Peters tun wird, bevor die Polizei die Insel erreicht hat.«
»Schsch!« machte Anders warnend. »Jetzt kommt Nicke.«
Lautlos sprangen sie zur Tür und stellten sich neben ihr zu beiden Seiten auf. Sie hörten Nickes Schritte näher kommen, und sie hörten das Klappern des Blechtabletts, das er trug. Sie hörten, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte, und sie spannten jeden Nerv und jeden Muskel in ihrem Körper. Jetzt – jetzt galt es!
»Hier bringe ich Rührei für dich, kleiner Rasmus«, rief Nik-ke, während er öffnete. »Das magst du doch …«
Er bekam nie heraus, ob Rasmus Rührei mochte. Denn in dieser Sekunde stürzten sie sich über ihn. Das Blechtablett fiel polternd zu Boden, und das Rührei spritzte umher. Sie hängten sich an seine Arme und Beine, warfen ihn um, schlugen ihn, krabbelten über ihn, saßen auf ihm, zogen ihn an den Haaren und drückten seinen Kopf auf den Boden. Nicke brummte wie ein verwundeter Löwe, und mit kleinen, kurzen Freudenschrei-en hüpfte Rasmus um die Kämpfenden herum. Das war ja schon fast der Krieg der Rosen, und er sah es als seine Pflicht an mitzumachen.
Er zögerte etwas, denn Nicke war ja trotz allem sein Freund.
Aber nach kurzer Überlegung ging er vor und gab ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern. Anders und Eva-Lotte kämpften wie nie zuvor, und Kalle sprang blitzschnell aus der Tür. Alles war in wenigen Sekunden vor sich gegangen. Nicke hatte Riesenkräfte, und als er sich von der Überraschung erholt hatte, brauchte er nur mit den Armen zu schütteln, um wieder frei zu sein. Verwirrt und böse stand er auf und sah sofort, daß Kalle verschwunden war. Er sprang zur Tür und wollte sie öffnen. Aber die Tür war verschlossen.
Einen Augenblick stand er da und starrte wie blöde die Tür an.
Dann warf er sich mit seinem ganzen Körper gegen die Türfül-lung, aber die war stabil und bewegte sich nicht um Haaresbreite.
»Wer zum Teufel hat die Tür abgeschlossen?« schrie er wild.
»Welcher Satan hat …«
Immer noch hüpfte Rasmus umher, froh und munter jubelte er seine kleinen spitzen Entzückungsschreie hervor.
»Das war ich«, schrie er. »Das war ich! Kalle lief raus, und dann habe ich abgeschlossen.«
Nicke packte ihn fest am Arm. »Wo hast du den Schlüssel, kleiner Lümmel?«
»Au, das tut weh«, sagte Rasmus. »Laß mich los, dummer Nicke!«
Nicke schüttelte ihn noch einmal. »Wo du den Schlüssel hast, will ich wissen!«
»Den Schlüssel, den habe ich aus dem Fenster geschmissen, bitte sehr!« sagte Rasmus.
»Bravo, Rasmus!« schrie Anders.
Eva-Lotte lachte laut und zufrieden auf.
»Jetzt kannst du mal sehen, kleiner Nicke, wie es ist, wenn man gefangen ist«, sagte sie.
»Ja, und es muß außerdem sehr lustig sein, zu hören, was der Peters dazu sagen wird«, meinte Anders kichernd.
Nicke setzte sich schwer auf die nächste Bank. Es war deutlich zu sehen, daß er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Als er das getan hatte, brach er in ein plötzliches und unerwartetes schallendes Gelächter aus.
»Ja, das wird lustig werden, zu hören, was der Chef dazu sagen wird.« Er lachte. »Das wird sicher lustig werden!« Dann wurde er wieder ruhig. »Aber das ist ja ein großes Unglück! Ich muß den Bengel erwischen, ehe er irgend etwas anstellen kann.«
»Bevor er die Polizei holen kann, meinst du!« sagte Eva-Lotte. »In dem Fall mußt du dich schon etwas beeilen, kleiner Nicke.«
DREIZEHNTES KAPITEL
Ein frischer westlicher Wind, der von Minute zu Minute stärker wurde, fegte dumpf brausend über die Tannenspitzen und trieb kleine, zitternde, schaumige Wellen durch den Sund, der die Insel vom Festland trennte. Kalle, der nach dem schweren Kampf mit Nicke und dem rasenden Lauf immer noch schwer atmete, stand am Ufer und sah verzweifelt auf das wild bewegte Wasser.
Ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen, konnte hier ein Sterblicher nicht hinüberschwimmen. Selbst mit einem kleinen Ruderboot wäre es eine heikle Angelegenheit gewesen. Außerdem hatte er kein Boot. Im vollen Tageslicht wagte er sich auch nicht zur Anlegestelle, und sicher lag dort auch kein Boot, das nicht angeschlossen war.
Wieder einmal war Kalle völlig ratlos. Er begann, all die vielen Widerstände, die sich vor ihm aufhäuften, langsam satt zu haben. Hier gab es keine Möglichkeit als abzuwarten, bis der Wind zurückging – und das konnte Tage dauern. Wo sollte er während dieser Zeit bleiben, und wovon sollte er leben? In die
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