Kalle Blomquist
Sommerferien!
Sie bummelte langsam über den Markt und die Kleine Straße hinunter zum Fluß, am Konditoreigarten vorbei und der Brücke zu. Eigentlich hatte sie nicht viel Lust, sich vom Zentrum der Ereignisse zu entfernen; aber da war der geheime Auftrag, und der mußte ausgeführt werden. Der Chef hatte ihr nämlich befohlen, den Großmummrich zu holen und an einen günstigeren Platz zu bringen. Bei dem peinlichen Verhör hatte Anders ja
beinahe
verraten, wo der Großmummrich lag. Und man konnte wetten, daß die Roten jeden Quadratmillimeter Boden untersuchen würden – dort unten am kleinen Pfad hinter dem Herren-haus. Da aber bislang noch kein Jubelschrei aus ihren Kehlen erklungen war, war es doch wohl sicher, daß der Großmummrich noch immer dort war, wo ihn die Weißen hingelegt hatten.
Oben auf einem großen Stein, genau neben dem Pfad, dort lag er in einer kleinen Vertiefung des Steins.
Eigentlich war es ja schändlich einfach, ihn zu finden, meinte Anders. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Roten ihre Krallen um das kostbare Kleinod schlagen würden. Da aber heute Markt war, durfte man annehmen, daß Sixtus und Benka und Jonte am Karussell und an der Schießbude unten auf dem Rummelplatz hinter der Eisenbahnstation festklebten. Heute hatte Eva-Lotte die Chance, den Großmummrich ungestört von seinem nunmehr recht unsicheren Aufbewahrungsplatz holen zu können. Der Chef hatte außerdem schon den neuen Platz für das Kleinod bestimmt: oben in der Schloßruine bei dem Brunnen im Burghof. Das bedeutete, Eva-Lotte sollte in der drük-kenden Gewitterschwüle zuerst den langen Weg über die Prärie machen, dann wieder zurück quer durch die ganze Stadt und danach den steilen Weg zur Ruine empor, die in ansehnlicher Höhe über der Stadt und genau entgegengesetzt vom Herrenhof lag. Tatsächlich, man mußte schon ein hingegebener Ritter der Weißen Rose sein, um sich derartiger Mühsal ohne Murren zu unterziehen. Und Eva-Lotte
war
hingegeben.
Warum wurde übrigens ausgerechnet Eva-Lotte dieser Auftrag erteilt? Hätte der Chef nicht Kalle schicken können? Nein, ein Vater ohne Einsicht hatte aus Kalle an diesem wichtigen Tag einen Laufburschen und Aushilfsverkäufer für das Lebensmittelgeschäft gemacht. Denn heute kamen die Bauern in die Stadt, um ihre Vorräte an Einmachzucker, Kaffee und Salzheringen zu ergänzen. Hätte da der Chef der Weißen Rose nicht selbst gehen können? Nein, der Chef mußte seinen Vater in der Schuhmacherwerkstatt vertreten. Es gefiel dem Schuhmachermeister Bengtsson nicht, an Markttagen zu arbeiten und dadurch den Tag zu entweihen. An solchen Tagen nahm er sich frei und »fei-erte«. Deshalb konnte aber nicht die Werkstatt geschlossen sein.
Es konnte doch, obwohl Markttag war, jemand kommen und Schuhe bringen, oder es konnte jemand kommen und Schuhe holen. Und deshalb hatte er seinem Sohn fest versprochen, ihn grün und blau zu schlagen, wenn er sich unterstehen würde, auch nur fünf Minuten aus der Werkstatt zu entweichen.
Eva-Lotte, hingegebener Ritter der Weißen Rose, ist es also, die den Auftrag bekommen hat, den geheimen und heiligen Auftrag, den verehrten Großmummrich von einem Versteck in das andere zu überführen. Das ist nicht irgend so ein Auftrag, das ist eine rituelle Handlung, eine Mission. Was macht es da schon, daß die Sonne verzehrend über der Prärie brennt und schwarzblaue Wolken sich am Horizont zusammenzuziehen beginnen? Was macht es da schon, daß man nicht am Marktleben teilnehmen kann, daß man »das Zentrum der Ereignisse« verlassen muß – denn das tat sie doch, als sie bei der Brücke abbog und den Weg zur Prärie nahm …
Tat sie das? Nein, das Zentrum der Ereignisse liegt nicht immer dort, wo das Markttreiben ist. An diesem Tag liegt das Zentrum der Ereignisse woanders. Und Eva-Lotte wandert gerade jetzt auf ihren nackten braunen Beinen genau hinein.
Die Wolken dort fangen an, wirklich drohend auszusehen.
Blauschwarz, häßlich – sie machen einen geradezu etwas ängstlich. Eva-Lotte geht langsam, denn hier draußen auf der Prärie ist es so heiß, daß die Luft zittert.
Hu, die Prärie ist so groß und weit – es kostet ja eine Ewigkeit hinüberzukommen! Aber Eva-Lotte geht nicht allein in dem Sonnenbrand. Sie wird beinahe fröhlich, als sie weit vor sich Gren, den Alten, entdeckt. Man kann sich nicht irren, man sieht, daß das Gren ist. Keiner trottet so wie er. Gren ist, wie es scheint, auch auf dem Weg zum Herrenhof. Sieh an,
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