Kalle Blomquist
jetzt seine grünen Hosen schon längst gegen andere vertauscht. Trotzdem ließ der Kommissar sämtliche Polizeistationen benachrichtigen, man solle auf alle grünen Gabardinehosen, die sich verdächtig machten, ein Auge haben. Im übrigen galt es, alle nur möglichen Routinear-beiten zu erledigen und zu hoffen, das Mädchen möchte sich schnell wieder so weit erholen, daß es verhört werden konnte.
Eva-Lotte lag in Mutters Bett, an dem ruhigsten Platz, den es gab. Doktor Forsberg war bei ihr gewesen, und sie hatte ein Pulver bekommen, damit sie »ohne böse Träume« schlafen könne. Außerdem hatten Vater und Mutter versprochen, jeder auf einer Seite des Bettes zu sitzen – die ganze Nacht über.
Und dennoch – wild jagten sich die Gedanken hinter ihrer Stirn. Oh, wäre sie doch nie zum Herrenhof gegangen! Jetzt war alles zu Ende. Nie mehr würde es etwas Schönes in der Welt geben. Wie konnte noch etwas schön sein, wenn Menschen sich so Böses antaten? Gewiß, sie hatte vorher schon gewußt, daß solche Dinge geschehen konnten; aber sie hatte es nicht so wie jetzt gewußt. Ach, wie oft hatten sie und Anders Kalle geärgert und von Mördern gesprochen, so leicht, als sei es etwas Lustiges und Komisches, etwas, womit man Witze machen konnte. Es war entsetzlich, jetzt daran zu denken. Nie mehr würde sie so etwas mitmachen. So etwas durfte man nicht, zum Spaß sagen.
Damit zog man vielleicht das Böse an, so daß es dann in Wirklichkeit geschah. Oh, daran zu denken, daß es womöglich ihre Schuld war, daß Gren … daß Gren … Nein, sie wollte nicht daran denken. Aber sie wollte ein anderer Mensch werden. Ja, ja, das wollte sie. Sie wollte etwas mehr Frau sein, mädchenhafter, wie Onkel Björk gesagt hatte. Nie mehr wollte sie in einem Krieg der Rosen mitmachen. Denn war nicht gerade der Krieg der Rosen die Ursache, daß sie in diese Dinge hineingeraten war
– diese Dinge, an die man nicht denken durfte, wenn einem der Schädel nicht platzen sollte? Nein, für sie sollte Schluß sein mit dem Krieg. Sie wollte nie mehr spielen. Nie mehr! Oh, wie trostlos würde das sein!
Tränen stiegen ihr aufs neue in die Augen, und sie nahm die Hand der Mutter.
»Mutti, ich fühle mich so alt«, sagte sie und weinte. »Ich fühle mich beinahe wie sechzehn.«
Dann schlief sie ein. Aber bevor sie in die barmherzige Bewußtlosigkeit sank, überlegte sie noch ein wenig, was wohl Kalle jetzt denken mochte. Kalle, der jahrelang Mörder gejagt hatte!
Was tat er wohl, wenn wirklich einer auftauchte?
Meisterdetektiv Blomquist erfuhr davon, als er hinter seines Vaters Ladentisch dabei war, zwei Salzheringe für einen Kunden in eine Zeitung zu wickeln. In dem Augenblick nämlich kam Frau Karlsson vom Rackerberg durch die Tür gesegelt, zum Platzen gefüllt mit Neuigkeiten und berstend vor Sensati-onslust. Und innerhalb von zwei Minuten war der ganze Laden ein kochender Topf voll von Fragen und Ausrufen und Grauen.
Jeder Verkauf stockte. Alle im Laden drängten sich um Frau Karlsson. Und sie plapperte und erzählte, daß der Speichel schäumte. Alles, was sie wußte, und mehr dazu.
Meisterdetektiv Blomquist, er, der über die Sicherheit der Stadt wachen sollte, stand hinter dem Ladentisch und hörte zu.
Er sagte nichts. Er fragte nichts. Er war wie versteinert. Als er genug gehört hatte, schlich er sich unbemerkt hinaus in den La-gerraum und sank auf eine leere Kiste.
Lange saß er da. Sprach er vielleicht mit seinem erdachten Zuhörer? Das wäre doch jetzt so passend gewesen. Nein, das tat er nicht. Er sprach überhaupt nicht. Aber er dachte an das eine und das andere.
Kalle Blomquist, dachte er, du bist ein Wicht, ein lächerlicher kleiner Wicht. Das bist du haargenau! Meisterdetektiv – nicht viel mehr als meine alten Pantoffeln! Hier können die verab-scheuungswürdigsten Verbrechen geschehen; aber du stehst ruhig hinter dem Ladentisch und wickelst Salzheringe ein. Weiter so, nur weiter so, dann tust du doch wenigstens
etwas
Nützliches!
Da saß er nun, den Kopf in die Hände gestützt, düster grü-belnd. Ach, warum hatte er nur gerade heute im Geschäft sein müssen! Sonst hätte Anders sicher ihn an Stelle von Eva-Lotte geschickt. Und dann wäre er es gewesen, der das Verbrechen entdeckt hätte. Oder wer weiß – vielleicht wäre er so rechtzeitig gekommen, daß er es verhindert hätte? Er hätte dann den Verbrecher unter vielen guten Ermahnungen hinter Schloß und Riegel gebracht. So, wie er es immer tat.
Aber
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