Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon
goldene Löwen und bronzefarbene Falken, weiße Lilien vor einem Hintergrund aus blauen, roten und grünen Drachen, gelben Schlössern, goldenen Kreuzen, braunen Hirschen und Bären. Die Adligen saßen auf den schönsten Pferden, die ich je gesehen hatte, ebenfalls an Kopf und Brust durch Rüstungen geschützt. Ihre Pferdedecken passten farblich zu den Umhängen ihrer Reiter. Seit den Ritterspielen in meiner Kindheit in Toulouse hatte ich nicht mehr so viel Putz auf einmal gesehen, und nach diesem Krieg auch nie wieder.
Der Reiter, der ganz außen und mir damit am nächsten stand, sah mich aus den Augenwinkeln kommen, drehte den Kopf zu mir herum und zügelte mit einer Hand, die in einem Kettenhandschuh steckte, sein nervöses Pferd. Er war schon alt. Sein Helm ohne Visier vermochte die buschigen weißen Augenbrauen nicht ganz zu verbergen.
»He! Eine Frau! Was macht Ihr hier, Schwester? Wisst Ihr denn nicht, dass der Kampf gleich beginnt? Reitet zurück und versteckt Euch in der Stadt!«
Er war ein untadeliger Franzose, bis hin zum letzten Detail seiner Kleidung und Rüstung, ebenso die anderen, die allmählich auf mich aufmerksam wurden und mich stirnrunzelnd musterten. Einige Pferde stampften ungeduldig.
»Eine Nonne? Ist sie denn wahnsinnig? Sagt ihr, sie soll verschwinden!«
»Bald wird es zu spät sein«, beharrte der alte Krieger. »Hört nur! Da stürmt schon unsere Angriffsspitze.« Während er sprach, erklang Trompetenschall. Der Morgen war schließlich heraufgezogen, begleitet vom Donnern der Hufe und dem Kriegsgeschrei der Männer. Die Pferde bäumten sich wiehernd auf.
»Der Herr sei mit ihnen«, betete der alte Ritter und schloss einen Moment lang die Augen. Dann, als sich die versammelte Armee in Bewegung setzte - langsam, Schritt für Schritt -, warf er einen Blick zu mir zurück. »Jetzt verschwindet schon!« Ich tat, wie mir geheißen. Allerdings schlug ich nicht die Richtung ein, die er von mir erwartete, sondern ritt weiter auf die Mitte der Armee zu. Ich schlängelte mich zwischen den langsam voranschreitenden Pferden hindurch und brachte die Reiter gegen mich auf. Einige schlugen halbherzig mit ihren Lanzen nach mir. Ich hörte wie sie einander verwundert und verärgert zugleich »Eine Frau« zuraunten. Fieberhaft suchte ich nach einer Standarte mit drei Rosen und einem Falken, ich suchte nach einem Onkel, einem Vater und seinem Sohn. Ich wusste, dass diese drei irgendwo vor mir ritten, und ich spornte mein erschöpftes Pferd an - doch vergebens.
Denn jetzt, da endlich Bewegung in die Menge gekommen war und Tausende von Männern ernsthaft auf dem Vormarsch waren, war an schnelles Vorankommen nicht mehr zu denken. Mit jeder Minute wurde es schwieriger für mich, zum Herzen des Bataillons vorzudringen, und als ich es dann endlich erreichte, bot sich mir ein verblüffender Anblick: Ich fand mich zwanzig Männern gegenüber, alle gleich gekleidet, in schwarzer Rüstung unter weißem Umhang, der mit einer schwarzen Lilie bestickt war. Mitten unter ihnen ritt ein Mann, der das scharlachrote, vorn mit zwei Spitzen versehene Banner des Königs von Frankreich trug - das Banner von Jean dem Guten. Er ähnelte den anderen zum Verwechseln, um den Feind zu verwirren, falls dieser versuchen sollte, ihn gefangen zu nehmen oder umzubringen.
Ich trieb mein Pferd in dem langsam vorwärts schreitenden Tross von Kriegsrössern an und versuchte, die Geräusche des Kampfes zu hören, vernahm aber nichts. Ich schaute in die Ferne. Vor mir schritt ein Bataillon Fußvolk, obwohl auch diese Männer die Rüstung von Adeligen trugen, die Männer auf dem Schlachtfeld davor konnte ich nicht ausmachen. Da wurde mein Blick von etwas anderem angezogen, einem riesigen Schwärm schwarzer Vögel, der über ihren Köpfen dahinzog, so groß, dass der Himmel sich verdunkelte. Sie beschrieben einen hohen Bogen, um dann plötzlich herabzustoßen: Es waren Pfeile von den englischen Langbögen, mit solcher Gewalt abgeschossen, dass sie eine französische Rüstung leicht zu durchdringen vermochten.
Sogleich vernahm ich das Donnern von Hufen, das Klirren von Schwertern und Streitäxten, Kriegsgeschrei, und dazwischen immer wieder die Todesschreie von Pferden und Männern.
Das Zweite Gesicht riet mir, mein tapferes Pferd stehen zu lassen. Also stieg ich ab und ließ es frei. Das gute Ross trottete froh zur inzwischen weit zurückliegenden Weide. An scheuenden Pferden vorbei lief ich zur nächsten Division. Ich achtete nicht auf
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