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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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die anderen hinter mir keuchen hörte. Schließlich wurde es flacher, und sie führten mich über nasse Felsen in eine Art Höhle - so nahm ich an, denn der Regen hörte ebenso plötzlich auf, wie der Boden unter meinen Füßen trocken wurde. Vor einer kalten Felswand musste ich mich niedersetzen. Nonis Stimme über mir befahl: »Schluck das.« Eine Pille wurde mir an die Lippen gedrückt. Ich nahm sie in den Mund und begann zu kauen, denn sie schien zu groß, als dass ich sie leicht hätte schlucken können. Sie schmeckte so ekelhaft und bitter, dass ich sofort würgte und sie beinahe ausgespuckt hätte, als ich auch schon einen Becher an den Lippen spürte und aufgefordert wurde: »Trink.« Ich nahm einen Schluck und war erleichtert, Pfefferminztee zu schmecken. Dennoch rutschte die Pille nur zögernd hinunter, und eine Zeit lang kauerte ich, von Brechreiz geschüttelt, an der kalten Felswand, während Noni mir noch mehr Tee einflößte.
    Als schließlich die Übelkeit vorüberging, wollte ich aufstehen und die Augenbinde entfernen. Doch noch ehe ich mich rühren konnte, schoben meine drei Begleiter mich an den Schultern auf den Boden. Da ich mich bereits ziemlich ermattet fühlte, ließ ich es widerstandslos geschehen. Hinab, hinab zur Erde, hinab zur Göttin... Draußen prasselte der Regen hernieder, drinnen ertönte das beinahe ohrenbetäubende Geräusch meines Atems. Sanft öffneten sie meinen durchnässten Umhang und streiften ihn mir ab, während vier weibliche Hände meine Röcke anhoben und begannen, mir die Beine zu massieren, langsam und stetig. Kurz darauf merkte ich, dass meine Haut mit einer nach Kräutern duftenden Salbe eingerieben wurde. Sogleich stellte sich die gewünschte Wirkung ein, ich atmete nun schwer und langsam, wurde passiv und fühlte mich zufrieden. Ich spürte den abgetragenen Stoff über meine Arme und meinen Oberkörper gleiten, als sie mir Kittel und Unterkleid auszogen. Es war äußerst angenehm, und meine Nacktheit war für mich kein Grund zur Beunruhigung ...
    Draußen hörte ich es donnern, ein schöner, tiefer, grollender Donner, während ich verzückt in der Höhle lag und das Rumpeln in mir spürte, als drei Paar Hände langsam und sinnlich meine Arme entlangstrichen, dann über meinen ganzen Körper. Noni, Justin und Mattheline summten eine absurde Melodie. Die Stimmen wurden immer höher, bis sie so albern klangen wie ein Bienenschwarm, und ich musste laut lachen.
    Abrupt wurden die Bewegungen langsamer, und ich konnte die einzelnen Hände nicht mehr voneinander unterscheiden. Ich fühlte mich wie in einer großen Umarmung, spürte, wie mein Körper sich aufbäumte wie eine Frau in den Wehen, ohne Schmerz, doch mit demselben Gefühl der Mühe und Verzweiflung, etwas zur Welt zu bringen, mich zu befreien ...
    Plötzlich wurde mein Körper von einem schrecklichen, kalten Feuer verschlungen. Ich setzte mich auf, rollte mich zur Seite auf alle viere und erbrach mich. Sogleich ging es mir besser. Ich lehnte mich zurück, befreite mich von der Augenbinde und bemerkte, dass ich ganz allein in der taghell erleuchteten Höhle war - gleißend hell kam sie meinen armen, verblüfften Augen vor -, denn am Eingang war ein Feuer entfacht worden, einen Steinwurf von mir entfernt. Trotz des beträchtlichen Abstands konnte ich es mit unglaublicher, ja, übernatürlicher Klarheit sehen, ein Feuer so hell wie die Sonne und schillernd wie eine Gemme, mit Zungen aus Saphiren, Rubinen, Smaragden, durchsetzt mit Adern aus Kupfer, Silber und Gold. Ich konnte nicht ausmachen, ob es Nacht oder Tag war, denn die ganze Welt, so schien mir, stand in Flammen. Wenn ich mich überhaupt noch an Einzelheiten dieses Erlebnisses erinnere, dann an dieses strahlende Licht. Ich hob die Hand, um meine schmerzenden Augen abzuschirmen, doch der Glanz war so wunderbar, dass ich mich nicht davon abzuwenden vermochte. Das Feuer tobte, wurde mit jedem Atemzug, den ich tat, höher und breiter, wobei die Farben darin immer kräftiger schimmerten. Gold, Silber und Kupfer verschmolzen zu einem unheimlichen Karmesinrot, Saphirblau und Smaragdgrün dagegen zu tiefem Schwarz.
    Die Flammen waren dunkel, vernichtend und gnadenlos. Ich krümmte mich, klammerte mich vergeblich an die kalte Felswand und sah, wie blutrote Tentakel nach mir griffen. Ein einzelner glühender Funke schoss hoch hinauf in die Luft und schwebte anschließend herab, nunmehr schwarze Asche, als er schließlich auf mein Bein fiel und mich vor Furcht und

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