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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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einen Plan schmieden, wie wir uns morgen an die Prioren wenden, und dann gehen wir gemeinsam zum Palazzo della Signoria. Was Alfonsina, Orsini und den Papst betrifft - die werden wir später um Vergebung bitten. Florenz hat Vorrang.«
    »Zumindest kannst du einen klaren Kopf bewahren«, sagte Piero versonnen als Zeichen seiner Kapitulation.
    Unterdessen kam eine Dienerin mit Wein und Kelchen, gefolgt von einer Parade von Dienern mit Tellern voll Geflügel, Hasen und Wildbret, Käse, Süßspeisen und allen nur denkbaren Köstlichkeiten. Piero nahm schließlich auch Platz und aß mit uns, doch er blieb besorgt und versuchte gar nicht erst, sich an unserer seichteren Unterhaltung zu beteiligen. Auch ich aß etwas, war aber wie Piero voller Besorgnis, und mein Blick blieb fest auf Giuliano geheftet.
    In jener Nacht wartete ich allein in Lorenzos Schlafgemach, während mein Gemahl mit seinen Brüdern besprach, wie man sich an die Signoria wenden sollte. Ich war unsäglich erschöpft, nachdem ich die Nacht zuvor wach gelegen hatte, konnte aber trotzdem nicht einschlafen. Zu meiner Sorge um meinen Vater kam nun noch hinzu, dass Za-lumma mir entsetzlich fehlte, und es machte mich schier verrückt, mir vorzustellen, welche Strafe er ihr dafür auferlegen würde, dass sie sich heimlich mit mir zusammengetan hatte. Auch der Gedanke, was wohl geschehen würde, wenn Giuliano mit seinem Bruder zur Signoria ginge, beunruhigte mich. Mehr noch: Ich hegte die kindische Angst, ihn nicht wiederzusehen. Ich hatte bereits entschieden, ihn zum Bleiben zu überreden - zur Hölle mit Florenz! - oder mich mitgehen zu lassen.
    Mit weit aufgerissenen Augen lag ich fest zugedeckt im Bett. Die Lampe brannte noch, im Kamin prasselte ein Feuer; das Licht warf schwankende Schatten auf die Wände und das Gemälde von der Schlacht bei San Romano. Lange starrte ich auf den bedrängten Hauptmann, so wie es Lorenzo mit Sicherheit jahrelang getan hatte.
    Das Feuer war warm - die Diener der Medici geizten nicht mit Holz -, und ich begann unter den Decken aus Samt und Fell zu schwitzen. Ich stand auf und trat ans offene Fenster.
    Der Himmel war bewölkt, kein Stern war zu sehen; die kalte Luft roch nach Regen. Ich streckte die Hand aus, und als ich sie zurückzog, war sie feucht vom Nieselregen.
    »Ecce ego adducam diluvii aquas super terram«, flüsterte ich, ohne mir dessen bewusst zu sein. Denn siehe, ich will eine Sintflut mit Wasser kommen lassen auf Erden.
45
    Giuliano kam kurz vor dem Morgengrauen zu mir. Die Lampe brannte noch, und in ihrem Schein wurden die feinen Linien um seine Augen sichtbar - die Augen eines Mannes, der zehn Jahre älter war als er. Ich sprach mit ihm weder über Politik noch über seine Pläne für den Auftritt vor der Signoria oder meinen Wunsch, er solle nicht hingehen. Stattdessen schloss ich ihn in die Arme und schlief mit ihm. Nicht mehr und nicht weniger verdiente und brauchte er jetzt.
    Der neunte November brach an. Der Morgen war so düster, dass Giuliano und ich ziemlich lange schliefen. Ich wachte auf, die Stimme des sterbenden Lorenzo im Ohr:
    Frag Leonardo ... Der dritte Mann ... ich habe dich im Stich gelassen. Leonardo, er und das Mädchen ...
    Dann krümmte ich mich vor Angst, denn mir fiel ein, was mit meinem Vater geschehen war; schlimmer noch, dass Giuliano versprochen hatte, seinen Bruder an jenem Tag zur Signoria zu begleiten. Nach einem kurzen Moment der Orientierungslosigkeit bemerkte ich, dass mich die Kirchenglocken geweckt hatten, die die Gläubigen zur Sonntagsmesse riefen. Einen so lauten Chor hatte ich noch nie vernommen: Ich war die Glocken von Santo Spirito gewöhnt, doch jetzt, mitten in der Stadt, vernahm ich die Klänge von San Marco, San Lorenzo und Santa Maria del Fiore aus nächster Nähe.
    Neben mir schlief Giuliano auf dem Bauch ausgestreckt - den einen Arm über den Kopf gelegt, den anderen unter die Seite gesteckt -, taub gegenüber dem Geläut vor seinem Fenster.
    Leise schlüpfte ich aus dem Bett und fand meine silbrige camicia wieder, diesmal gefaltet und sorgfältig auf einen Stuhl gelegt. Ein Schauer überlief mich, als ich sie anzog. Das Feuer war bis auf die warme Asche heruntergebrannt. Darauf achtend, Giuliano nicht zu wecken, nahm ich einen Fellüberwurf vom Bett und wickelte ihn um mich.
    Ich öffnete die Tür zum Vorzimmer mit der Absicht, in den Korridor dahinter zu gehen und nach einem Diener zu rufen; ein Schwall Wärme empfing mich. Im Kamin knisterte ein munteres Feuer,

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