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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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und direkt vor der Tür lümmelte ein Mann von etwa dreißig Jahren auf einem Stuhl. Er war der größte Mann, den ich je gesehen hatte - fast ein Riese, muskulös und breit gebaut. An seiner Hüfte hing ein Schwert in der Scheide, dessen Griff im Feuerschein orangefarben glänzte. Ein großer Lederschild lehnte neben ihm an der Wand.
    In den massigen Händen hielt er ein kompaktes Buch, das in der Mitte aufgeschlagen war, und als ich die Tür öffnete, klappte er es schuldbewusst zu. Wie die meisten Kaufmannstöchter von Florenz kannte ich mich in der Schrift so gut aus, dass ich Dantes Paradies erkannte. Er legte das Buch neben sich auf den Boden, stand auf und schenkte mir ein entwaffnendes Lächeln. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzuschauen.
    »Guten Morgen, Madonna Lisa«, sagte er in tiefstem Bass. »Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen. Soll ich einen Diener rufen? Jemanden, der Holz im Kamin nachlegt?«
    »Ich brauche nur Laura, bitte, und eine Schüssel warmes Wasser. Mein Gemahl schläft noch, wenn Ihr das also möglichst leise machen könntet .«
    »Gewiss doch.« Er verneigte sich, und ich sah ihm kurz nach, wie er zur Tür schritt, die auf den Korridor hinausführte. Draußen erhoben sich zwei weitere bewaffnete
    Männer, während er ihnen mit gedämpfter Stimme Anweisungen erteilte.
    Ich ging wieder ins Schlafgemach und stellte fest, dass Giuliano bereits wach geworden war. Ich begrüßte ihn glücklich mit leidenschaftlichen Küssen, als hätte mich die Anwesenheit der Wachen nicht zu Tode erschreckt.
    Mit Michelangelo und einigen engen Verbündeten der Medici besuchten wir die Messe in der Familienkapelle. Danach nahmen wir ein spätes, leichtes Mittagessen mit Piero, Giovanni und Michelangelo zu uns - wieder waren Bewaffnete vor der Tür postiert. Auf unserem Weg in den Speiseraum der Familie erklärte Giuliano mir, die Brüder nähmen für gewöhnlich ihre Mahlzeiten mit Freunden und Beratern ein, an diesem Tag jedoch zögen sie Ungestörtheit vor. Unwillkürlich dachte ich, Sicherheit wäre ein passenderes Wort als Ungestörtheit, da die Korridore vor Wachposten wimmelten.
    Giovanni gab sich höflich distanziert und machte sich allem Anschein nach keine Gedanken über die bevorstehende Begegnung seines älteren Bruders mit der Signoria; falls er noch Pläne hegte, Giulianos Ehe annullieren zu lassen, so behielt er sie für sich. Michelangelo hielt den Blick auf seinen Teller gerichtet und schaute nur gelegentlich auf, um mich oder die anderen scheu anzusehen. Mir war vorher nicht aufgefallen, wie wörtlich Giuliano es gemeint hatte, als er sagte, Lorenzo habe Michelangelo wie seinen eigenen Sohn großgezogen. Die Brüder behandelten ihn in der Tat wie ihresgleichen.
    Piero runzelte immerfort die Stirn und rieb sich den Hals, als habe er Schmerzen; er strahlte äußerste Anspannung aus. Giuliano war beherrscht und freundlich, darauf bedacht, mich und Piero zugleich zu beruhigen. Die Unterhaltung war beiläufig, bis Giuliano fröhlich ausrief:
    »Fortuna ist mit uns. Antonio Loreno ist heute propo-sto .« Dem entnahm ich, dass Loreno ein Freund war - das war gut, da der proposto der einzige Prior war, der eine Maßnahme zur Diskussion stellen konnte. Einen Tag lang hatte er die Schlüsselgewalt über den Glockenturm der Signoria, der ganz Florenz auf der Piazza zusammenrief.
    »Loreno?« Piero schaute mit schwacher Hoffnung von seinem Teller auf.
    Giuliano nickte. »Er wird dafür sorgen, dass wir hineinkommen, damit die Prioren dich anhören können.« Er machte eine Pause. »Was ist deiner Ansicht nach die beste Zeit, hinzugehen? Vielleicht am Spätnachmittag? Zur Vesper? Dann werden sie zumindest nicht die Ausrede haben, von Geschäften in Anspruch genommen zu sein oder zu speisen.«
    Piero dachte darüber nach und übernahm den Gedanken dann, als wäre es sein eigener. »Ja.« Er nickte einmal kräftig. »Wir gehen zur Vesperstunde. Ich möchte, dass du mitkommst. Und etwa zwanzig bewaffnete Männer. Und ... Dovizi.«
    Giuliano verdrehte die Augen und seufzte niedergeschlagen. »Auf wen willst du hören? Auf ihn oder auf mich? Hast du denn alles vergessen, was ich dir gestern Abend gesagt habe? Nach allem, wozu er dir geraten hat, hast du in den Augen des Volkes schlecht dagestanden. Ich sage dir, er ist nicht mehr unser Freund.«
    »Ich höre auf dich«, antwortete Piero tonlos. »Aber ich will, dass Dovizi dort ist. Um den Schein zu wahren.«
    Giuliano sagte dazu nichts,

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