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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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doch ich sah an seiner plötzlich undurchdringlichen Miene, dass ihm die Sache nicht gefiel.
    Mit einem Mal brach Michelangelo das lastende Schweigen mit einer äußerst unangemessenen, schüchtern vorgebrachten Ankündigung. »Ich reise morgen nach Venedig.«
    Darauf hatten alle drei Brüder keine Antwort.
    Der Tag verging zu schnell. Giuliano hatte sich um Geschäfte zu kümmern und traf sich mit dem Vertreter einer Bank
    - obwohl ich vermutete, dass dieser Mann ihn eher über politische als über finanzielle Angelegenheiten informierte. Laura bürstete mir das Haar aus, rollte es im Nacken zusammen und steckte es in eins der besten goldenen Haarnetze von Madonna Alfonsina. »Schließlich«, sagte sie, »seid Ihr eine verheiratete Frau, und es gehört sich nicht, wenn Ihr die Haare herabhängen lasst wie ein junges Mädchen.«
    Dann unternahm sie mit mir einen Rundgang durch die Küchen und das Innere des Hauses, darunter auch durch die Gemächer, in denen Pieros Gemahlin Alfonsina mit ihren Kindern wohnte. Danach zeigte sie mir die Bibliothek mit ihren hohen Regalen aus fein geschnitztem Holz, die unzählige Lederbände und Pergamentrollen beherbergten.
    Ich suchte mir einen Band von Petrarca aus - seine Rime, Sonetti, Canzoni, Trionfi, ein Buch, das über dreihundert Sonette enthielt. Die meisten anderen Bände waren auf Griechisch (das ich nicht beherrschte) oder Latein (in dem ich unsicher war). Ich nahm das kleine Buch mit in Lorenzos Schlafgemach, lächelte dem Goliath von einem Wachmann freundlich zu, der mich begleitete, und setzte mich auf den Stuhl neben dem frisch nachgelegten Feuer, um zu lesen.
    Ich hatte Petrarca für eine sichere Wahl gehalten. Er schrieb auf Toskanisch, was meine schwankende Konzentration nur wenig in Anspruch nehmen würde, und seine Liebesgedichte würden mich an meinen Grund zur Freude erinnern: Giuliano. Doch als ich die Seiten vorsichtig umblätterte, fand ich nichts als Qual. Die Gedichte enthielten ausnahmslos nicht die Schönheit der Leidenschaft, sondern nur die Sorge und Pein, die sie verursachte. Hier war der arme Petrarca, der den Tod Lauras betrauert, des Objekts seiner unerfüllten Liebe:
    Seit meinen Geist in Schmerz und Unbehagen Zurückließ und in bangen Finsternissen Das Engelantlitz, plötzlich mir entrissen,
    Such ich durchs Wort zu lindern meine Plagen.
    Ich schimpfte auf die Tränen, die mir in die Augen traten, und wischte sie ab, mich selbst tadelnd; ich hatte nie über ein Gedicht geweint. Trotzdem beunruhigte mich eine weitere Zeile:
    ... Doch bald zu Eis erstarren die Gedanken,
    Seh ich beim Scheiden, wie mit holder Sitte Ihr von mir lenket meine Schicksalssterne.
    Meine Schicksalssterne. Unwillkürlich fühlte ich mich an etwas erinnert, an das ich lange nicht gedacht hatte: die Begegnung mit dem Astrologen und meine beißenden Kommentare zu meiner Mutter, die damals nur versucht hatte, mir Kummer zu ersparen. Im Geiste vernahm ich noch die Stimme des Astrologen: In Euren Sternen sah ich einen Akt der Gewalt, der Eure Vergangenheit und Zukunft ist.
    Ich dachte an meine Mutter, wie sie unter Savonarolas Händen starb, und wurde plötzlich von der unvernünftigen Furcht gepackt, Giuliano - meine Zukunft - könnte sein nächstes Opfer sein.
    »Halt an«, sagte ich laut zu mir selbst und schaute dann mit schlechtem Gewissen zur Tür, um zu sehen, ob mein Riese auf der anderen Seite mich gehört hatte. Von dort kam kein Laut, keine Bewegung; ich schüttelte den Kopf, um die lästigen Gedanken loszuwerden, und fuhr dann stirnrunzelnd mit meiner Lektüre fort. Ich war wild entschlossen, etwas Glückliches, Strahlendes zu finden - ein gutes Omen, das ich dem schlechten entgegensetzen konnte.
    Erneut blätterte ich durch die Seiten und fand in Petrarcas fließendem Toskanisch den Vers:
    Il successor di Karlo che la chioma Co la corona del suo antiquo adorna Prese a gia l'arme per fiacchar la corna A Babilonia, et che da lei si noma.
    Der Erbe Carols, dessen Locken schmücket Des Ahnherrn Krone, eilt, sich zu bewehren Um Babylon die Hörner zu zerstören Und jeden, der das Schwert für selbes zücket.
    Ich klappte das Buch zu, legte es beiseite und ging hinüber ans Feuer. Der Kamin strahlte eine glühende Hitze ab; ich verschränkte die Arme vor der Brust, so fest, als müsste ich die Angst im Zaum halten. Alles war auf irgendeine Weise miteinander verbunden: Leonardo, der dritte Mann, Lorenzos Tod, die piagnoni ... und ich.
    Als ich aufschaute, sah ich Uccellos

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