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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ich glaube allerdings, dass sie viel weniger wissen, als sie zugeben. Er hat immer unter Gicht gelitten - zuweilen so schlimm, dass er vor Qualen aufschreit, wenn nur ein Betttuch seine Haut berührt. Und seine Knochen schmerzen. Neuerdings jedoch wird er von einem Dutzend verschiedener Beschwerden geplagt, von denen sein Arzt ihm allem Anschein nach keine Erleichterung verschaffen kann. Er ist schwach, er kann nicht essen, er ist unruhig und hat Schmerzen .« Er schüttelte den Kopf und blieb wie angewurzelt stehen. »Ich habe mir solche Sorgen um ihn gemacht. Er ist dreiundvierzig, aber er sieht aus wie ein alter Mann. In meiner Kindheit war er so stark, rannte mit uns Kindern und spielte mit uns, als wäre er einer von uns. Er hat mich immer auf sein Pferd gehoben, und ich bin mit ihm geritten ...« Die Stimme versagte ihm; er verstummte, um sich zu fangen.
    »Es tut mir so leid.« Ich hatte gerade meine Mutter verloren; ich verstand die Angst gut, die diesen Jungen packte. »Aber es geht ihm doch besser als vorher, oder?«
    »Ja . « Er nickte rasch, ohne meinem Blick zu begegnen.
    »Dann wird er sich bestimmt auch weiter erholen. Ihr dürft die Hoffnung nicht verlieren.«
    Plötzlich kam er wieder zu sich. »Verzeiht, Madonna! Ihr seid unser Gast, und ich habe nichts Besseres zu tun, als zu klagen. Ich sollte Euch mit solchen Sorgen nicht behelligen .«
    »Aber ich wollte es doch wissen. Ser Lorenzo war so nett zu mir; er hat mir seine Sammlung gezeigt, obwohl er so erschöpft war.«
    Giuliano lächelte schelmisch. »Das sieht meinem Vater ähnlich. Er sammelt gern schöne Dinge, aber sie verschaffen ihm kein echtes Vergnügen, wenn er sie nicht mit an-deren teilen und sie dabei beobachten kann, wie sie sich an der Kunst erfreuen. Man sagt ihm nach, dass er grausam sein kann, wenn es um Geschäfte oder Politik geht, aber ich kann nur Gutes in ihm sehen.« Er hielt inne; sein Tonfall wurde leichter. »Hat Euch der Rundgang gefallen, Madonna?«
    »Ja, sehr sogar.«
    »Ich weiß, mein Vater würde Euch gern die vollständige Sammlung zeigen. Darf ich ihn fragen, ob Ihr wiederkommen könnt, um Euch noch mehr anzusehen? Vielleicht können wir es so einrichten, dass Ihr unsere Villa in Ca-stello besucht; dort gibt es viele erstaunliche Gemälde und herrliche Gärten.«
    »Das würde mir gefallen.« Obwohl mir bei dem Gedanken vor Glück schwindelig wurde, kam meine Antwort nur zögerlich. Ich bezweifelte, dass mein Vater mir je eine zweite Chance geben würde, die Medici zu besuchen. Ich machte mir noch immer Sorgen, ob er sich überhaupt darauf einlassen würde, einem Künstler - selbst einem so bekannten wie Leonardo - Zutritt in unser Haus zu gewähren.
    Giuliano lächelte auf meine Antwort hin. »Das wäre wunderbar, Madonna Lisa! Da es meinem Vater nicht gutgeht, würde er mir vielleicht erlauben, Euch herumzuführen.«
    Plötzlich beschlich mich Unruhe bei der Erkenntnis, dass er sich in mich verliebt hatte. Bestimmt hatte Lorenzo mich nicht als potenzielle Braut für seinen Sohn hierher eingeladen - Giuliano war erst in ein paar Jahren im heiratsfähigen Alter. Und wenn er denn heiratete, dann würde seine Braut aus einem der vornehmsten Häuser Italiens stammen. Gewiss wäre sie nicht die Tochter eines Tuchhändlers.
    Mir fiel keine angemessene Erwiderung ein. Zum Glück waren wir inzwischen am Seiteneingang des Palazzo angelangt. Hier waren keine Diener; dumpf erinnerte ich mich, dass Wachen auf der anderen Seite standen, draußen in der Kälte. Giuliano blieb stehen.
    »Ich lasse Euch hier nur einen Augenblick zurück, Madonna, um mich zu vergewissern, dass Euer Vater auch sicher auf Euch wartet. Ich komme gleich wieder und geleite Euch dann zu ihm.«
    Einem Impuls folgend, beugte er sich unerwartet vor und küsste mich auf die Wange. Ebenso schnell war er verschwunden.
    Ich war froh, dass er gegangen war und keine Zeugen zugegen waren. In Anbetracht der Hitze auf meinem Gesicht und meinem Hals musste ich hochrot angelaufen sein.
    Ich war innerlich zerrissen. Das hier war ein freundlicher, liebenswerter Knabe, der außerdem gut aussah - ein Fang, der meine kühnsten Hoffnungen überstieg, doch ich reagierte auf seinen Kuss unwillkürlich mit einem Lachanfall. Zugleich rief ich mir in Erinnerung, dass ich mich in Leonardo da Vinci verliebt hatte. Am sichersten war es wohl, meine Hoffnungen auf einen Ehestand an ihm festzumachen. Auch wenn Leonardo das Ergebnis einer unehelichen Verbindung mit einer Dienerin

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