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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ich mich stattdessen auf den Augenblick, in dem Giuliano sich vorgebeugt und mir einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte. Ich träumte von Botticellis Venus und der Allegorie des Frühlings. Ich kannte die Gemälde nur aus Beschreibungen; jetzt versuchte ich mir vorzustellen, wie sie an den Wänden von Castello wirkten. Ich überlegte sogar, wie es wohl wäre, wenn mein Porträt direkt daneben hinge. Ich sehnte mich danach, wieder in Schönheit zu schwelgen, wie es mir unter Ser Lorenzos freundlicher Führung möglich gewesen war. Nachts lag ich im Bett und hatte zum ersten Mal seit dem Tod meiner Mutter Gedanken, die mich von mir selbst und all dem Leid im Haus meines Vaters fortführten.
    Seit kurzem tätigte mein Vater mehr Geschäfte als sonst, sodass er unweigerlich noch später nach Hause kam; ich hatte es aufgegeben, auf ihn zu warten, und ging statt-dessen zu Bett, sodass ich erst am nächsten Morgen mit ihm reden konnte. Häufig kam er mit Giovanni Pico nach Hause, trank Wein und unterhielt sich, ohne dem gedeckten Tisch Beachtung zu schenken.
    Nun aber war ich von einer besonderen Entschlossenheit beseelt: Ich wartete geduldig, ignorierte mein Magenknurren und blieb stundenlang am Tisch sitzen, bis er endlich kam. Ich stellte ihm keine Fragen; ich saß nur da und aß in der Gewissheit, dass er schließlich doch auf Lorenzos Einladung zu sprechen käme. Vier Abende hielt ich durch, bis ich meine Geduld verlor.
    Ich bat die Küche, das Essen warm zu halten, und setzte mich an den gedeckten Tisch. Dort wartete ich drei Stunden, vielleicht auch länger, bis die Kerzen beinahe heruntergebrannt waren und mein Hunger so groß wurde, dass ich schon erwog, mir das Essen auftragen zu lassen.
    Schließlich betrat mein Vater das Zimmer - zum Glück ohne Graf Pico. Im Schein der Kerzen kam er mir ausgezehrt und ungepflegt vor; seit dem Tod seiner Frau hatte er sich nicht die Zeit genommen, seinen golden schimmernden Bart zu stutzen. Hier und da krausten sich widerspenstige Haare, wo sie nicht hingehörten, sein Schnauzbart war zu lang und berührte die Unterlippe.
    Er wirkte enttäuscht, wenn auch nicht überrascht, als er mich sah.
    »Komm, setz dich«, sagte ich, auf einen Stuhl deutend. Dann ging ich in die Küche und gab die Anweisung, die Mahlzeit aufzutragen. Als ich zurückkam, hatte er Platz genommen, sich aber nicht die Mühe gemacht, seinen Umhang abzulegen, obwohl das Feuer im Kamin ausreichend Wärme verbreitete.
    Wir schwiegen, bis als Erstes die minestra, die Suppe, serviert wurde. Nachdem das Küchenmädchen gegangen war, ließ ich einen Moment verstreichen, während mein Vater sich seinem Essen zuwandte. Dann fragte ich - wobei ich versuchte, meine Nervosität zu unterdrücken, was mir ganz und gar nicht gelang:
    »Hast du in der letzten Zeit einen Brief erhalten, der mich betraf?«
    Langsam legte er den Löffel beiseite und starrte mich über den Tisch hinweg mit unergründlichem Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen an. Er gab keine Antwort.
    »Von Lorenzo de' Medici?«, drängte ich. »Oder vielleicht von Piero?«
    »Ja, ich habe tatsächlich einen Brief bekommen«, sagte er, senkte den Blick und nahm noch einen Löffel Suppe.
    Ob es ihm gefalle, mich zu quälen, war ich versucht zu fragen. »Und was hast du geantwortet?«
    Er hielt über seiner Schüssel inne und knallte dann mit einer Heftigkeit, die mich erschreckte, seinen Löffel auf den Tisch. »Es wird keine Antwort geben«, sagte er. »Ich habe mein Versprechen an deine Mutter gehalten: Lorenzo soll als dein Heiratsvermittler fungieren. Aber er ist gut beraten, wenn er einen frommen Mann auswählt - falls er überhaupt noch so lange lebt, dass er eine Entscheidung treffen kann.«
    Seine Wut fachte meinen Zorn an. »Warum kann ich nicht mitfahren? Was ist schon dabei? Ich bin schon so lange nicht mehr glücklich gewesen! Damit würde mir vieles leichter.«
    »Nie wieder wirst du einen Fuß ins Haus der Medici setzen.« Seine Augen funkelten. »Ihre Zeit geht zu Ende. Gott wird sie niederwerfen; ihr Sturz wird beträchtlich sein. Genieße die Erinnerung an all die schönen Schätze, die man dir gezeigt hat, denn sie werden bald verschwunden sein, zu Asche zerfallen.«
    Davon ausgehend, dass er nur die Worte seines neuen Retters gleich einem Papagei wiederholte, ignorierte ich sie. Doch ich fragte hitzig: »Woher weißt du, dass man mir Schätze gezeigt hat? Woher?«
    Er überhörte die Frage geflissentlich. »Ich habe Geduld mit dir gehabt,

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