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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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darüber, dass er weinte. Bei dem Krieg, der zuletzt bei uns zu Hause getobt hatte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass mein Vater traurig darüber sein könnte, dass meine Mutter nicht mehr lebte. Auf den Holzbänken saßen auch einige meiner alten Schulfreundinnen mit ihren Müttern. Nachdem niemand im Heim erschienen war, überraschte es mich ebenfalls, sie an diesem Ort zu sehen.
    Nach der Andacht ging die Trauergemeinde zum Grab. Stiegen Tränen in mir auf? Nein. Stumm lief ich neben meinem Vater her. Männer, die ich nicht kannte, ließen den braunen Sarg in das rechteckige Erdloch in einigen Metern Tiefe herab. Blumen wurden daraufgeworfen. In mir war einzig eine große Leere. Traurig betrachtete ich im Grab die vier Wände aus dunkler Erde. Den Sarg mit den Kränzen. Ich wollte zu meiner Mutter klettern und mich dazulegen. Mein Leben war ohnehin vorbei. Doch ich dachte, die Leute, die um das Loch herumstanden, würden mich eh nur wieder hochholen und mich nicht mit ihr begraben, so wie ich es mir wünschte. Auf die Idee, jemand könnte mir helfen, wenn ich ein derart deutliches Signal geben würde, kam ich nicht.
    Vor ihrem Tod zeigte mir meine Mutter, dass Weiblichkeit Schwäche bedeutet. Selten erlebte ich sie als stark, durchsetzungsfähig und belastbar. Zwar war sie sehr streng – wie so viele Kinder in den Siebzigerjahren wurde auch ich noch mit dem Holzlöffel auf den nackten Hintern geschlagen –, aber für mich schien sie kaum Macht zu haben. Höchstens über mich. Mein Vater war derjenige, der grundsätzlich das Sagen hatte. Immer, wenn ich meine Mutter traurig, unglücklich oder angetrunken erlebte, erschien sie mir schwach. Oder auch verantwortungslos. Wie in der folgenden Situation, an die ich mich gut erinnere: Sie fuhr mit mir und zwei Mädchen aus der Nachbarschaft in unserem grünen VW Käfer in die Stadt. Sie war so betrunken, dass sie die Kontrolle über das Auto verlor und wir ungewollt über eine Verkehrsinsel rumpelten. »Festhalten, Kinder«, rief sie und lachte leicht hysterisch. »Mama, was machst du denn?«, fragte ich nervös, während sich meine beiden Freundinnen, die mit mir auf der Rückbank saßen, kreischend aneinanderklammerten. Von allen Seiten hupte es, doch meine Mutter hupte nur zurück und fuhr unverdrossen weiter. Dieses Verhalten finde ich heute unverzeihlich.
    Als wir bei ihrem neuen Freund lebten, besserte sich die Situation nur wenig, denn der Rosenkrieg mit meinem Vater ging trotzdem weiter. Er lauerte uns abends im Garten vor der Wohnung auf oder beobachtete uns heimlich. Bekamen wir das mit, machten wir das Licht aus und versteckten uns alle drei unter dem Esstisch. Tagsüber saß meine Mutter meist auf dem Sofa, wie schon in dem Haus bei meinem Vater, und weinte. Heute glaube ich, dass sie depressiv war. Als Kind konnte ich das noch nicht in Worte fassen, doch ich war oft verzweifelt, weil meine Mutter so wirkte, als bräuchte sie selbst Hilfe, und nicht wie jemand, der mir Halt geben konnte.
    Nach den sechs Wochen im Heim zog ich zu meinem Vater. Da ich zuvor ein auf die Mutter bezogenes Kind war – mein Vater hatte immer sehr viel gearbeitet und war wenig zu Hause –, erschien er mir fern. Was aber auch nicht stimmen konnte, denn ich hatte ein genaues Bild von ihm, und das war nicht unbedingt positiv: Meine Mutter hatte sich ja von ihm getrennt.
    Sechs Monate nach der Beerdigung präsentierte er mir seine neue Freundin. Ich wachte eines Morgens auf, und eine mir unbekannte Frau saß in seinem karierten Bademantel an meinem Bett. Sie schien Anfang dreißig zu sein, sah aber der Popsängerin Nena verblüffend ähnlich. Kennengelernt hatte er sie auf dem Weihnachtsmarkt. Das war eine der wenigen Situationen, in denen ich rebellierte. Ich war eifersüchtig auf sie und verletzt, und das zeigte ich auch: Ich gab patzige Antworten, wenn sie mit mir sprach. Wenn ich nicht mit ihr reden wollte, schwieg ich einfach. Mein Vater schien mein Benehmen sogar nachvollziehen zu können, denn es gab nicht so viel Ärger, wie ich befürchtet hatte. Er war früher immer streng mit mir gewesen und hatte sehr empfindlich darauf reagiert, wenn ich mich » aufmüpfig « verhielt oder unfreundlich war. Ebenso protestierte ich, wenn mein Vater meine Mutter schlechtmachte – das passierte jedes Mal, wenn er über sie sprach. So konnte ich nie

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