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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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wünsche, dass es besser wird. Und spüre, dass ich etwas bewirken kann. Denn Heide macht mir Mut, sagt immer wieder, wie gut ihr jedes Wort, jede noch so kleine Geste tut. Sie nimmt mich an die Hand, zeigt mir, was ihr hilft (Anteilnahme) und was nicht (Durchhaltefloskeln), lässt mich mit ihrer Krankheit nicht alleine. Sie macht es mir leicht, eine gute Freundin zu sein.
    Und auch Heide ist – trotz ihrer Krankheit – eine tolle Freundin. Eine, die mir viel zurückgibt. Sie kann sehr gut zuhören, interessiert sich für mich, mein Leben, meine Sorgen und Ängste, auch wenn sie, gemessen an ihren, banal erscheinen. Doch solche Gewichtungen macht Heide nicht. Sie nimmt mich ernst, gibt wertvolle Ratschläge. Sie ist nie neidisch und macht mir kein schlechtes Gewissen, obwohl ich alles habe, wovon Heide träumt. Eine liebevolle Familie, eine gute Ehe, eine süße kleine Tochter, einen festen Job, finanzielle Unabhängigkeit. Nie setzt sie mich unter Druck. Reißt keine Zäune ein, sondern ist dankbar für alles, was ich gebe. Und sie hat Verständnis für das, was ich nicht geben kann.
    Heide ist eine echte Bereicherung, eine Freundin, auf die ich nicht verzichten will. Und auf die ich auch sehr stolz bin. Denn wenn die letzten Jahre einer Berg- und Talfahrt glichen, sehe ich doch, dass Heide Fortschritte macht. Dass sie kaum noch Fressanfälle hat. Dass es ihr ab und zu gelingt, sich selbst zu mögen. In der Klinik macht sie jetzt eine Intervall-Therapie. Erst lagen nur drei Monate zwischen den Aufenthalten, dann vier. Neulich erzählte sie mir ganz stolz, dass sie ihre nächste Behandlung im Krankenhaus um vier Wochen nach hinten geschoben hat. Sechs Monate stemmt sie allein zu Hause. Das wäre früher undenkbar gewesen.
    Und ich bewundere Heide. Dafür, wie sie kämpft. Wie sie versucht, trotz Krankheit ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Wie sie sich dagegen wehrt, dass ihre – für sie lebenswichtigen – Therapien gestrichen werden und dass der Staat sie für arbeitsunfähig erklären wollte. Und ich bewundere sie auch dafür, wie sie den Schmerz in ihrem Inneren aushält. Ich selbst hatte einmal im Leben eine Panikattacke. Sie dauerte nicht lang, und mein Mann war da und stand mir bei. Trotzdem war es schrecklich, etwas, das ich nie wieder erleben will. Heide hat solche Attacken oft. Stundenlang. Und keinen Partner, der sie liebevoll in den Arm nimmt.
    Ich wünsche mir, dass das irgendwann wieder anders ist. Dass Heide ein normales Leben führen kann. Ein Leben ohne Selbstmordfantasien. Ohne Klinikaufenthalte. Ohne Hartz IV . Ein Leben, in dem nur das Heute zählt – und nicht mehr vom Gestern überschattet wird.

16 Willkommen in Absurdistan – auf der Geschlossenen, März 2011
    O bwohl ich wusste, dass ich meinen Freunden nicht zu viel zumuten durfte, übertrat ich am 30. März 2011 eine Grenze. Was mir heute unendlich leidtut. Wie konnte es nur dazu kommen, dass ich so die Kontrolle verlor? Schon wochenlang ging es mir sehr schlecht. Der Tropfen, der das Fass an diesem Mittwoch zum Überlaufen brachte, war wieder eine entsetzliche Sitzung bei meinem Therapeuten. Danach hatte ich zu viele Tabletten genommen, eine Freundin angerufen, furchtbar geheult und immer wieder gesagt: »Ich will sterben.« Das hatte ihr solche Angst gemacht, dass sie die Polizei rief – und die dann den Rettungsdienst. Das macht es nicht ungeschehen, aber ich habe nicht aus mangelndem Respekt so gehandelt, sondern aus der Not heraus. Ich war wie eine Ertrinkende, die sich an ihrem Retter festkrallt und droht, ihn mit in die Tiefe zu ziehen.
    Der Krankenwagen brachte mich in die nächstgelegene Klinik. Dort führten mich die Rettungssanitäter in die Notaufnahme. Kaum saß ich auf einem der Plastikstühle, schlief ich, dank der Überdosis, auch schon ein. Acht Stunden später wachte ich in einem Krankenhausbett wieder auf. Ich hatte einen Clip am Finger, Kabel führten von meiner Brust zu einem piependen Monitor, und eine Manschette quetschte in regelmäßigen Abständen meinen Oberarm zusammen. Eine Krankenschwester erklärte mir, dass ich in der Notaufnahme zur Überwachung läge. Heute wird einem nicht mehr in jedem Fall der Magen ausgepumpt. Denn die größte Gefahr besteht darin, dass die Schlaf- und Beruhigungsmittel das Atemzentrum lähmen und man daran stirbt. Deshalb ist es

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