Kalt, kaltes Herz
'ne Asbestlunge. Der Arzt meint, es ist, wie wenn kleine Nadeln das Gewebe zerfasern.«
»Wann hatten Sie Kontakt?«
»Kontakt? So was hab ich noch nie gemacht.«
»Ich meine, wann sind Sie mit Asbest in Kontakt gekommen?«
»Oh, jetzt kapiere ich.« Er nickte. »Bei der Marine. Hab auf einem Flugzeugträger im Maschinenraum gearbeitet.«
»So ein Pech. Tut mir leid!«
»Was soll ich machen? Heulen?« Er starrte mich an.
Ich merkte, daß Max nach Trost suchte, wenn es ihm auch nicht bewußt war. Meine Kopfhaut prickelte. »Haben Sie's mal getan?«
»Was?«
»Sich hingesetzt und geheult?«
»Was reden Sie da ...«
Um nicht sentimental zu wirken, fuhr ich in schärferem Ton fort: »Verdammt, wer würde das nicht? Stimmt's, oder habe ich recht? Die bescheuerten Lungen kaputt! Nur ein Wahnsinniger klappt da nicht zusammen.« Er sah hinüber zu dem tanzenden Mädchen. Ich folgte seinem Blick. Sie kniete auf allen vieren und ahmte die Bewegungen einer Hündin nach, die besprungen wird.
»Das muß einen doch fertigmachen«, sagte ich, »wenn man so krank ist.«
Er hielt den Blick auf die Tänzerin gerichtet. »Es ist schrecklich.« Seine Stimme brach, und er räusperte sich. Ich griff in meine Tasche, zog eine Zehn-Dollar-Note heraus und legte sie auf die Bar. »Danke für die Nachricht von Rachel.«
Er sah auf den Geldschein. »Das geht aufs Haus«, sagte er. Er holte tief Luft, hustete und wandte sich dann wieder zu mir um. »Hat sie nicht einen Wahnsinnsarsch? Da könnte man glatt alles vergessen.«
Ob er die Tänzerin oder Rachel meinte, wußte ich nicht, doch es war auch egal. Er brauchte das, um sich zusammenzureißen. »Phantastisch«, bestätigte ich. Dann stand ich auf. »Und wie komme ich zu diesem Red-Lace-Laden?«
»Er liegt drei Blocks von hier am Broadway, hinter Perkys Gebrauchtwagenmarkt. Achten Sie auf die roten Lampen im Fenster.«
Ich verließ die Bar und fuhr zur Red Lace Lingerie, die sich im obersten Stock eines heruntergekommenen dreistöckigen Hauses befand. Von der Straße sah man kein Schild, aber die Vorhänge waren zugezogen, und dahinter schimmerte das von Max beschriebene rote Licht. Ich betrat das Gebäude und ging nach oben, vorbei an einem Friseurgeschäft, einem Sonnenstudio und – ausgerechnet – der Praxis eines Chiropraktikers. Diese Typen fand man wirklich an den seltsamsten Orten.
Der Laden war eingerichtet wie ein Billigkaufhaus – etwa ein Dutzend runde Kleiderständer aus Chrom und dahinter ein Tresen mit einer Kasse. Weil ich Rachel nicht sehen konnte, betrachtete ich die Ware – ein Bügel nach dem anderen mit im Schritt offenen Höschen, Gummiwesten mit Metallreißverschlüssen, Lederhalftern, Kettenhemden. Daneben ein Brautkleid, eine Hausmädchentracht und sogar eine Polizeiuniform. Ich stellte mir die dazu passende Phantasie vor:
Sie tun so, als würden Sie mir einen Strafzettel ausschreiben, und ich hole ihn raus. Erst sind Sie schockiert, aber dann gefällt er Ihnen, und Sie haben plötzlich Lust auf ihn. Sie steigen in den Wagen und ziehen sich langsam aus.
Ich kicherte. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte eine junge Frau, zwei Kleiderständer von mir entfernt. Sie warf ihr langes, blondes Haar zurück und lächelte mich an.
Ihre blaßblauen Augen faszinierten mich. »Ja«, sagte ich schließlich. »Ich suche Tiffany.«
»Tiffany hat einen Kunden. Es dauert noch etwa zehn Minuten.«
»Darf ich hier auf sie warten?«
»Natürlich. Ich trage Sie ein.« Sie ging zum Tresen.
Ich folgte ihr. Unter der Glasplatte war ein Sortiment Sexspielzeug – französische Kitzler, Dildos und phosphoreszierende Kondome – ausgestellt. Allmählich fragte ich mich, ob es in diesem Geschäft bei Striptease und gelegentlicher Handarbeit blieb.
»Sind Sie schon Kunde bei uns?« fragte das Mädchen.
»Nein, ich bin neu.«
Sie füllte ein Formular aus, das wie ein Aufnahmeantrag aussah. »Und wer hat uns empfohlen?«
»Max vom Lynx Club.«
Sie notierte seinen Namen. »Zahlen Sie mit Visa Card oder in bar?«
»In bar.«
»Das macht fünfzig Dollar für drei Kostüme. Die Phantasiekleider ausgenommen, da zählt eins als zwei.«
»Phantasiekleider?«
»Wie die Nazimütze oder das Pfadfinderkostüm.«
»Natürlich.« Gegen meinen Willen starrte ich auf ihre Brustwarzen, die sich unter dem T-Shirt abzeichneten.
Sie wies mit dem Kopf auf die Tür hinter sich. »Tiffany braucht ein paar Minuten länger. Wollen sie mich sehen?« Ich dachte über die Möglichkeit nach,
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