Kalt kommt der Tod (German Edition)

Mini-U-Boote in mehr als viertausendzweihundert Meter Tiefe am Nordpol die russische Flagge in den Meeresgrund gerammt. Natürlich stand weniger Forscherehrgeiz hinter dieser Aktion als vielmehr eine Machtdemonstration. Putin wollte aller Welt demonstrieren, wem die unter der Arktis vermuteten Bodenschätze gehören. Angesichts der Heldentat ihrer Forscher – hier mache ich einen kleinen verallgemeinernden Sprung – hat die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta einen Artikel über diese Expedition gebracht: › Beginn einer neuen Aufteilung der Welt‹. Seitdem herrscht in der Arktis eine Art Ausnahmezustand, und dieser Sachverhalt treibt seltsame Blüten.«
    Die Fachpredigt war ekelhaft lang. Packer hoffte, dass sie bald zu Ende war, doch Paulsen machte weiter, wo er aufgehört hatte, es war offensichtlich, dass er in seinem Element war und Carolin für den Moment vergessen hatte.
    »Im Herbst 2005 drang nicht weit von hier ein russischer Fischtrawler in unsere Hoheitsgewässer ein, vermutlich aus Versehen. Die Küstenwache schnappte ihn sich und schickte einen Beamten zur Routinekontrolle an Bord. Und was machen die Russen? Dampfen einfach ab, mit unserem Mann als Begleitung. Die Küstenwache hat sie verfolgt und Unterstützung durch einen Kampfhelikopter angefordert. Plötzlich fanden sie sich in russischen Hoheitsgewässern wieder, wo man ihnen einen netten Empfang bereitete. Unsere Leute mussten umdrehen. Einige Tage später wurde der Beamte freigelassen. Und ratet mal, wo? Auf dem russischen Festland. Und die Russen feierten den Kapitän des Trawlers wie einen Nationalhelden. So viel zur norwegisch-russischen Freundschaft. Außerdem…«
    Ein Hustenanfall unterbrach seinen Redefluss.
    An seiner Stelle fuhr Jenna fort: »Der Grund für die militärischen Muskelspiele ist einfach: Es geht um Geld. Um sehr viel Geld. Die Polkappen schmelzen. Die ersten Erkenntnisse darüber stammen aus einer Zeit, als Goethe noch kein Institut war. Alle Klimaforscher, und jetzt pass gut auf, Phong, rechnen damit, dass in zwanzig bis fünfzig Jahren große Teile des Nordpolarmeeres im Sommer eisfrei sein werden. Dann würde aus dem weitgehend unzugänglichen, gefrorenen Niemandsland eine offen befahrbare Wasserfläche werden, was unter anderem die Frage aufwirft: Wo verlaufen die Grenzen? Das wiederum ist von großem Interesse, weil erst nach dieser Entscheidung die unterseeischen Ressourcen erschlossen werden können. Nach Schätzungen des US Geological Survey liegt ein Viertel der noch unentdeckten Öl- und Gasressourcen der ganzen Welt in der Arktis. Polarblut sagen manche dazu, weil sie befürchten, es könnte zu einem Blutvergießen um das Öl kommen.«
    »Der feuchte Traum eines jeden Energiekonzerns«, flocht Paulsen ein. »Der Klimawandel und eine immer ausgefeiltere Explorations- und Fördertechnik machen diese Reserven allmählich zugänglich. Auch Gold, Silber, Eisen und Zink liegen praktisch vor unseren Füßen.«
    Für Packer war der Nordpol bisher nur ein verheißungsvoller Ort für Entdecker und Abenteurer gewesen, und damit hatte es sich.
    »Du kennst dich gut aus«, sagte er.
    »Meerestechnologie ist ihr Spezialgebiet«, sagte der Direktor und lächelte Jenna an. »Sie könnte Ihnen einen mehrstündigen Vortrag darüber halten. Ohne sich zu wiederholen.«
    »Gott bewahre«, entgegnete Jenna geschmeichelt, »es reicht, wenn meine Studenten das über sich ergehen lassen müssen.«
    »Und was erzählst du denen sonst noch?«, fragte Packer.
    »Zum Beispiel, dass wir den Russen unsere ganzen wissenschaftlichen Geheimnisse preisgeben sollten«, sagte Jenna. »Dann wären sie zwei Jahre zurück.«
    »Jenna traut unseren Ingenieuren nicht viel zu, müssen Sie wissen«, meinte Paulsen und schüttelte amüsiert den Kopf.
    »Oder«, fuhr sie unbeirrt fort, »dass 2011 das Eis im Nordpolarmeer auf ein neues Rekordminimum von 4,2 Millionen Quadratkilometer zusammengeschmolzen und damit seit 1972 – wir reden vom Sommer – um die Hälfte zurückgegangen ist. Die aktuellen Zahlen werden gerade ausgewertet. Es geht, natürlich, um Macht. Die Rohstoffe der Welt werden immer knapper. Deshalb wächst das Interesse an den verborgenen Schätzen der Polarregion. Jeder sagt: Die gehören uns. Da legen wir die Hand drauf.«
    Packer meinte: »Dänische, kanadische und amerikanische Truppen – das kam auf N24 – haben in einem gemeinsamen Manöver schon mal drei Wochen lang den Ernstfall geprobt, wenigstens das weiß ich. Das Manöver