Kalt kommt der Tod (German Edition)
könnten, Professor«, sagte Packer, als hätte das Wort einen schlechten Geschmack.
Unbeeindruckt von dieser Bemerkung fuhr Paulsen fort, und in seiner Stimme schwang keinerlei Ärger mit, nur die gelassene Ruhe und Freude am Thema, die er während des ganzen bisherigen Gesprächs an den Tag gelegt hatte.
»Carolins Gruppe hat sich ordnungsgemäß abgemeldet. Für den Fall, dass sie von schlechtem Wetter überrascht werden würden, war sie mit Proviant für eine Woche ausgerüstet. Über ein Satelliten-Telefon hielt sie täglich Kontakt zur Universität. Drei Studenten haben sich für den Ausflug Gewehre der Universität ausgeliehen, die anderen Studenten nahmen ihre eigenen Waffen mit.«
»Waffen?«, fragte Packer.
»Wenn man die Area 10 verlässt, eine unsichtbare Grenze, die ein paar Hundert Meter um Longyearbyen liegt, ist es Vorschrift auf der Insel, ein Gewehr mitzunehmen«, erklärte ihm Paulsen. »In der Wildnis streifen jede Menge Eisbären umher. Wenn man einen trifft, sollte man vorbereitet sein. Gewöhnlich gehen sie Menschen aus dem Weg; ganz anders ist das, wenn sie hungrig sind, dann werden sie aggressiv und greifen an. Zum Weglaufen ist es dann zu spät. Was glauben Sie, wie schnell so ein Vierhundert-Kilo-Bursche laufen kann?«, wandte er sich jetzt direkt an Packer. »Er würde Sie kriegen, egal wie weit und schnell Sie laufen. Gelegentlich verirrt sich ein Bär in die Stadt, deshalb patrouilliert rund um die Uhr eine Eisbärenwache durch unsere Straßen. Als ich hier anfing, kaufte ich meinem Vorgänger eine Mauser 98 ab, mit – stellt euch das mal vor – einer Hakenkreuzprägung auf dem Metall, einem Überbleibsel aus der deutschen Besatzungszeit während des Zweiten Weltkriegs. Der Lauf wurde aufgebohrt, damit großkalibrige Jagdmunition reinpasst. Ausländische Studenten rüsten wir für die Feldausflüge mit der Ruger M77 aus.«
»Irgendeine Idee, wo sie abgeblieben sein könnte?«, fragte Packer.
»Carolin?«
»Kennen Sie sonst noch jemand, der vermisst wird?«
»Die fünf, die zurückkehrten, sagten übereinstimmend aus, ein Schneesturm habe sie gezwungen, die zweite Nacht in den Zelten zu bleiben. Carolin, Sylvia Brustedt und Sarah Jones teilten sich ein Zelt. Als sich der Sturm am nächsten Morgen legte, waren die drei spurlos verschwunden, mitsamt den Waffen und der schweren Wetterkleidung. Nur ihre Skidoos standen noch da, wo sie sie am Abend abgestellt hatten. Der Sturm hat sämtliche Spuren verwischt, was darauf hindeutet, dass sie schon eine ganze Weile fort gewesen sein müssen, als die anderen bemerkten, dass sie nicht mehr da waren. Auch Carolins Iridium-Telefon war weg. Daraufhin haben die anderen Teilnehmer die Expedition sofort abgebrochen und sind unverzüglich nach Longyearbyen zurückgekehrt, um die Vorkommnisse zu melden und eine Suchaktion einzuleiten.«
»Können wir mit denen sprechen?«, fragte Packer. »Mit allen, die dabei waren?«
»Das halte ich für keine gute Idee«, erwiderte Paulsen. »Wenn ihr euch einmischt.«
»Einmischen ist unsere Spezialität«, sagte Jenna.
Packer sagte nichts, aber seine Augen leuchteten amüsiert.
»Die Polizei hat bereits jeden Einzelnen vernommen. Eine Studentin steht unter Schock. Sie machen sich alle große Vorwürfe. Vielleicht später.«
»Morton«, sagte Jenna und erhob sich, »wir brauchen deine Erlaubnis nicht. Ich schätze deine väterliche Fürsorge für die Studenten, aber ich finde, du übertreibst ein bisschen.«
»Die Polizei hat sicher nichts dagegen, wenn ihr die Protokolle einsehen möchtet. Da steht alles drin, was meine Studenten zu sagen haben, Wort für Wort. Habt ihr sonst noch Fragen?«
Seine Stimmung war deutlich heruntergekühlt.
»Nur noch eine«, sagte Packer. »Bungee-Girls, klingelt da was bei ihnen?«
Morton Paulsen zuckte zusammen.
33
Der Amtssitz des Sysselmanns von Spitzbergen lag auf einem Hügel oberhalb der Stadt. Von außen sah das Gebäude mit seiner neongrün beleuchteten Glasfront für diesen Teil der Welt unangemessen modern aus. Drinnen war gefühlt viel Ikea, Fichte satt, vom Boden bis zur Decke.
Big Kokina fläzte sich auf dem Sofa im Büro des Sysselmanns und ließ ihn nicht aus den Augen.
Ingar Elmgreen ging in seinem schlichten Dienstzimmer auf und ab und erläuterte seinen deutschen Besuchern, was sich zugetragen hatte. Elmgreen hatte einen langen Wolfskiefer und graue Haare, dünn wie Nebel, tiefe Falten auf der Stirn und ganz klar eine amtliche Aura.
Eben
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