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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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nicht ganz erklären konnte.
    Sie zog ihr Häschenpflaster ab. Ihre Injektionswunde sah genauso aus wie die von Shepherd.
    Wie sich zeigte, verbarg sich unter Dylans lustigem Hündchen ein Nadelstich, der ebenfalls so aussah wie die Stiche von Shep und Jilly. » Frankenstein hat mir gesagt, das Zeug würde bei jedem anders wirken «, sagte er.
    Jilly warf einen Blick auf die Wand, an der sich der Tunnel befunden hatte. » In Shepherds Fall wirkt es offenbar total anders.«
    »›Die Wirkung ist ausnahmslos interessant, häufig erstaunlich und manchmal positiv‹«, zitierte Dylan.
    Jilly sah das Staunen auf Dylans Gesicht, die leuchtende Hoffnung in seinen Augen. »Du glaubst, das ist was Positives für Shep? «
    » Was das Talent betrifft, Dinge zu falten, bin ich mir noch nicht sicher. Es könnte ein Segen oder ein Fluch sein, das wird sich mit der Zeit schon zeigen. Aber er ist auch gesprächiger geworden, und er spricht direkter mit mir. Wenn ich darüber nachdenke, verändert er sich schon seit der Sache im Motel. «
    Jilly wusste, was Dylan dachte und was er nicht zu sagen wagte, um das Schicksal nicht herauszufordern – dass Shep mithilfe des geheimnisvollen psychotropen Zeugs womöglich den Weg aus dem Gefängnis seines Autismus finden konnte.
    Vielleicht verdiente sie den Namen Jackson die Negative doch. Vielleicht war sie in ihrer düstersten Laune tatsächlich ein Mahlstrom aus Pessimismus, weil sie sich nie mit dem eigenen Leben und dessen Aussichten befasste, sondern sich zu oft Gedanken darüber machte, dass die meisten Leute ode r a uch die ganze Gesellschaft immer allerhand phantastische Möglichkeiten entdeckten, sich in die Hölle zu katapultieren. Trotzdem hielt sie sich weder für pessimistisch noch für negativ, wenn sie in Sheps Entwicklung mehr Gefahr als Hoffnung sah und weniger Aussicht auf Erkenntnis als auf blankes Entsetzen.
    Shep starrte auf die winzige rote Schwellung an seinem Fuß. » Beim Licht des Mondes « , flüsterte er.
    In seinem bislang unschuldigen Gesicht sah Jilly nun keine der Mienen mehr, auf die sich sein emotionales Spektrum früher begrenzt hatte. Da waren weder Leere noch Milde oder Angst. Ein Anflug von Schärfe lag in Shepherds Stimme, und sein Gesicht zog sich zu einem bitteren Ausdruck zusammen, der möglicherweise mehr war als bloße Bitterkeit. Vielleicht war es Wut, steinharte und lange genährte Wut.
    » Das hat er schon einmal gesagt «, sagte Dylan nun, » als ich gestern Abend versucht habe, ihn aus unserem Motelzimmer zu locken, kurz bevor wir dich getroffen haben. «
    » Sie tun ihr Werk « , flüsterte Shep.
    » Das auch «, sagte Dylan.
    Shep ließ die Schultern immer noch herabhängen, und die Hände lagen nach oben gewandt im Schoß, als meditierte er, aber sein düsteres Gesicht verriet ein inneres Unwetter.
    » Wovon redet er da? «, fragte Jilly.
    » Keine Ahnung. «
    » Shep? Mit wem sprichst du, Kle iner?«
    » Sie tun ihr Werk beim Licht des Mondes. «
    »Wessen Werk, Shep?«
    Noch vor einer Minute war Shep herd mehr in Kontakt mit der Gegenwart und mit seinen zwei Gefährten gewesen, als Jilly es bisher erlebt hatte. Nun war er irgendwo ganz anders und genauso weit weg wie bei seinem Ausflug nach Kalifornien.
    Jilly hockte sich neben Dylan und nahm behutsam eine von Sheps schlaffen Händen in ihre beiden. Er reagierte nich t a uf die Berührung. Seine Hand blieb so schlaff wie die eines Toten.
    Seine grünen Augen jedoch waren lebendig. Er starrte damit auf seine Füße oder den Boden, aber möglicherweise sah er beides nicht, sondern blickte stattdessen auf jemanden oder etwas in seiner Erinnerung, der oder das ihn unendlich quälte.
    » Sie tun ihr Werk beim Licht des Mondes « , flüsterte er noch einmal. Diesmal lag eine unmissverständliche Schärfe in seiner Stimme, die dem Anflug von Wut in seinem Gesicht entsprach.
    Es war keine Vision, die Jilly überkam, keine lebhafte Vorahnung kommenden Schreckens. Ihre ganz gewöhnliche Intuition riet ihr, wachsam zu sein und gefasst auf tödliche Überraschungen.

26
    Shepherd kehrte von seinem privaten Mondspaziergang mit der Erkenntnis zurück, dass er noch immer unter die Dusche musste.
    Jilly hatte sich ins Schlafzimmer zurückgezogen, aber Dylan blieb im Bad bei seinem Bruder. Angesichts der neuesten Komplikationen hatte er nicht vor, Shepherd in nächster Zeit irgendwann allein zu lassen.
    » Kleiner, du musst mir etwas versprechen «, sagte Dylan, während Shep sein T-Shirt auszog.
    Shep

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