Kalt
holte ihren Bestellblock aus der Schürzentasche. » Da haben wir ein paar wirklich leckere Sorten «, sagte sie und zog einen Bleistift aus ihrem kunstvoll aufgetürmten und festgesteckten roten Haar. » Kokosnuss, Schwarzwälder Kirsch, Zitrone und Zitrone-Walnuss. «
» Wir wollen nicht alle Kuchen «, sagte Dylan. » Deshalb brauchen wir die Speisekarte. «
» Kuchen «, sagte Shepherd.
Während die Kellnerin verschwand, um Karten zu besorgen, sagte Dylan: » Komm jetzt, Shep. «
» Kuchen. Kokosnuss … «
» Zuerst geht ’ s zum Pinkeln, Shep. «
» … Schwarzwälder Kirsch … «
Inzwischen standen die Männer aus dem Kombi bestimmt schon am Empfangstisch des Motels.
» … Zitrone … «
Wenn sie Dienstmarken besaßen, die sie als Gesetzeshüter auswiesen, zeigten sie diese vor.
» … und Zitrone-Walnuss. «
Und wenn sie keine Dienstmarken hatten, dann würden sie die gewünschte Information durch Einschüchterung bekommen.
» Kein Pinkeln «, teile Dylan seinem Bruder ruhig mit, » kein Kuchen. «
Shep leckte sich erwartungsvoll die Lippen, während er über das Ultimatum nachdachte.
» Dylan «, sagte Jilly leise, aber dringlich, » das Fenster. «
Der zweite schwarze Kombi stand jetzt nicht mehr vor dem Motel gegenüber, sondern hinter seinem Gegenstück gleich neben dem Café vor der Rezeption.
Falls ihm nicht absolut keine andere Wahl blieb, wollte Dylan seinen Bruder nicht am Arm packen und aus der Nische zerren. Dann wäre Shep ihm wahrscheinlich gefolgt, obgleich selbst das nicht sicher war. Zwar würde er nicht gewaltsam Widerstand leisten, aber wenn er es sich in den Kopf setzte, konnte er so sperrig werden wie ein Kleiderschrank.
Die Kellnerin drehte sich mit Speisekarten in der Hand an der Theke um und machte sich auf den Rückweg.
» Kein Pinkeln, kein Kuchen? «, fragte Shepherd.
» Kein Pinkeln, kein Kuchen. «
» Pinkeln, dann Kuchen? «, fragte Shep.
» Pinkeln, dann Kuchen «, sagte Dylan.
Shepherd schob sich aus der Nische.
Gerade als Shep aufstand, kam die Kellnerin, ließ die Speisekarten auf den Tisch fallen und fragte: » Möchten Sie Kaffee? «
Dylan sah die Eingangstür aufgehen. In ihrer Glasscheibe spiegelte sich die Sonne, und aus seiner ungünstigen Perspektive konnte Dylan vorläufig nicht erkennen, wer hereinkam.
» Zwei Tassen «, sagte Jilly.
Ein älteres Paar trat über die Schwelle. Die beiden waren wahrscheinlich schon über achtzig. Sie hatten zwar keinen krummen Rücken und wirkten noch recht munter, aber Killer waren sie bestimmt nicht.
» Milch «, murmelte Shep.
» Zwei Tassen Kaffee und ein Glas Milch «, sagte Dylan zur Kellnerin.
Ein Milchglas war zwar oben rund, die Milch selbst hingegen nicht. Sie war auch nicht bauchig, sondern formlos, und Shepherd hegte keinerlei Vorurteile gegen bestimmte Nahrungsmittel, nur weil ihm die Form des Gefäßes missfiel, in dem sie serviert wurden.
» Kuchen «, sagte Shepherd, während er Dylan mit gesenktem Kopf durch den Raum folgte. Jilly bildete das Ende der Prozession. » Kuchen. Pinkeln, dann Kuchen. Pinkeln, dann Kuchen. «
Die Toiletten erreichte man über einen Flur an der Rückwand des Cafés.
Vor sich sah Dylan einen vierschrötigen Mann in einem ärmellosen T-Shirt, der genügend farbige Tattoos auf den Armen, dem Nacken und dem Kahlkopf hatte, um auf dem Rummelplatz aufzutreten. Er marschierte in die Herrentoilette.
Im Flur und damit immer noch im Blick mancher Gäste im Speisesaal, sammelten die drei sich. » Schau mal in die Damentoilette «, sagte Dylan zu Jilly.
Jilly verschwand und kam wieder heraus, noch bevor sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. » Keiner drin. «
Dylan schob seinen Bruder hinter Jilly in die Damentoilette und folgte den beiden.
Die zwei Kabinen standen offen; die Tür zwischen dem Vorraum und dem Flur war nicht abschließbar. Jeden Moment konnte jemand sie überraschen.
Der Rahmen des einzigen Fensters war so dick mit Farbe bestrichen, dass er im Rahmen klebte, aber es wäre sowieso zu klein gewesen, um hindurchzuschlüpfen.
» Du musst jetzt etwas für mich tun, Kleiner «, sagte Dylan.
» Kuchen. «
» Shep, du musst uns hier herausfalten und wieder in unser Motelzimmer bringen. «
» Aber da wollen doch auch die Kerle aus den Kombis hin «, sagte Jilly.
» Sie werden noch nicht da sein. Auf dem Computer ist noch das Interview mit Proctor, und das dürfen sie auf keinen Fall sehen. Ich weiß zwar nicht, wohin uns das letztlich führen wird,
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