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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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auf der Bühne und sogar ihr bedeutsames Alter Ego, den lieben, entzückenden, grünen Fred, aber auf ihre Umhängetasche würde sie unter keinen Umständen verzichten. Die enthielt zwar bloß ein paar Dollar, ferner Pfefferminzbonbons, Papiertaschentücher, Lippenstift, Puderdose und Haarbürste, also nichts, was lebensnotwendig gewesen wäre, aber wenn sie diesen Besuch im Hause O ’ Conner auf wundersame Weise überlebte, dann wollte sie ihren Lippenstift nachziehen und sich das Haar bürsten. In diesem schrecklichen Augenblick jedenfalls kam ihr die Möglichkeit, sich in Ruhe ein bisschen hübsch zu machen, wie ein herrlicher Luxus vor, der großen Limousinen, der Präsidentensuite in Fünfsternehotels und Beluga in nichts nachstand.
    Und wenn sie doch viel zu jung mit einem Gehirn voller Nanomaschinen – genauer gesagt, wegen eines Gehirns voller Nanomaschinen – sterben musste, dann wollte sie eine möglichst hübsche Leiche abgeben – vorausgesetzt, sie bekam keinen Kopfschuss, der ihr Gesicht so stark verzerrte wie ein Porträt von Picasso.
    Jackson die Negative, der Mahlstrom aus Pessimismus, erreichte das obere Ende der Leiter und sah, dass der Dachboden hoch genug zum Stehen war. Durch einige mit Drahtgittern geschützte Öffnungen in den Dachtraufen drang mattes Sonnenlicht in diese letzte Festung vor, ohne jedoch die vielen Schatten bannen zu können. Roh behauene Dachsparren, Bretterwände und ein Sperrholzboden verwahrten mehrere Dutzend Pappkartons, drei alte Koffer, allerlei Plunder und eine Menge leeren Raum.
    Die heiße, trockene Luft roch schwach nach uraltem Teer und stark nach unzähligen Abarten von Staub. Da und dort waren an den schrägen Deckenplanken Kokons befestigt, kleine Zeugnisse von Insektenfleiß, die im Dunkel leicht phosphoreszierten. Näher, gleich über Jillys Kopf, spannte sich ein kunstvolles Spinnennetz zwischen zwei auseinander laufenden Sparren. Sein Architekt war entweder verstorben oder auf Reisen gegangen, das Netz hingegen war grausig mit vier Motten geschmückt, deren graue Flügel wie eine Erinnerung ans Fliegen ausgebreitet waren. Ihr Gehäuse war von der abwesenden Spinne bereits ausgesaugt worden.
    » Wir sind erledigt «, murmelte Jilly, während sie sich zu der offenen Falltür umdrehte, auf die Knie sank und die Leiter hinabschaute.
    Shep stand auf der untersten Sprosse und klammerte sich mit beiden Händen an eine höhere. Er hatte den Kopf gesenkt, als stünde er auf einer Art Gebetsleiter, und sträubte sich offenbar weiterzugehen.
    Hinter Shep warf Dylan einen Blick durch die offene Tür des Kleiderschranks ins Gästezimmer. Zweifellos erwartete er, hinter den Fenstern Männer auf dem Verandadach stehen zu sehen.
    » Eis «, sagte Shep.
    » Lock ihn hoch «, sagte Dylan zu Jilly.
    » Was ist, wenn ein Feuer ausbricht? «
    » Das klingt aber nicht sehr verlockend. «
    » Eis. «
    » Hier oben ist alles trocken wie Zunder. Ehrlich, was ist, wenn ein Feuer ausbricht? «
    » Und was ist, wenn sich ein plötzlicher Polsprung ereignet? «, fragte Dylan sarkastisch zurück.
    » Für den Fall hätte ich einen Katastrophenplan. Kannst du ihn nicht hochschieben? «
    » Ich kann ein bisschen nachhelfen, aber jemandem eine Leiter hochzuschieben, ist praktisch unmöglich. «
    » Es verstößt nicht gegen die physikalischen Gesetze. «
    » Willst du dich hier als Physikerin aufspielen? «
    » Eis. «
    » Hier droben habe ich sackweise Eis, Schatz «, sagte Jilly.
    » Schieben, Dylan! «
    » Ich Versuchs ja. «
    » Eis. «
    » Hier gibt ’ s eine Menge Eis, Shep. Komm hoch zu mir. «
    Shep weigerte sich, die Hände zu bewegen. Störrisch klammerte er sich an der Sprosse fest.
    Jilly konnte Shepherds Gesicht nicht sehen, nur die Oberseite des gesenkten Kopfes.
    Unten hob Dylan den rechten Fuß seines Bruders an und stellte ihn auf die nächste Sprosse.
    » Eis. «
    So sehr Jilly es auch zu verdrängen versuchte, das Bild der toten Motten wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Verzweifelt gab sie es auf, Shep mit falschen Versprechungen anzulocken, und versuchte stattdessen, zu ihm vorzudringen, indem sie seinen Monolog über Eis in einen Dialog verwandelte.
    » Eis «, sagte er.
    » Gefrorenes Wasser «, entgegnete Jilly.
    Dylan setzte Shepherds linken Fuß auf die höhere Sprosse, auf der bereits der rechte stand, die Hände bewegte Shep aber trotzdem nicht.
    » Eis. «
    » Hagel «, sagte Jilly.
    Weit unten im Haus, im Erdgeschoss, trat jemand eine Tür ein. Da die

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