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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Augenblick, in dem du es tatsächlich geschafft hättest, wegzurennen? «
    » O Mann «, sagte Jilly und erschauerte, als ihr dämmerte, welche Bürde auf sie alle zukam, welches Gewicht, das sie von nun an bis hin zum Grab nie würden ablegen können. » Ja, ich hätte weglaufen können. Teufel, ja, durchaus. Fast hätte ich ’ s sogar getan. «
    » Na schön, also hättest du es eventuell tun können. Vielleicht können wir immer noch weglaufen. Aber der Haken an der Sache ist … Gab es einen Augenblick, einen kurzen Augenblick, in dem du es über dich gebracht hättest, dich vor deiner Verantwortung zu drücken – um dann hinterher noch in den Spiegel schauen zu können? «
    Jilly starrte ihn an.
    Dylan erwiderte ihren Blick.
    » Ganz schön übel «, sagte Jilly schließlich.
    » Nun, einerseits ja, andererseits nein. «
    Darüber dachte Jilly eine kleine Weile nach, dann lächelte sie schwach und stimmte zu. » Einerseits ja, andererseits nein. «
    » Diese neuen Verbindungen, die neuen Nervenbahnen, die von den Nanomaschinen geschaffen wurden, haben uns aller hand Fähigkeiten verliehen. Wir können hellsehen, mehr oder weniger Dinge vorausahnen, uns durch die Gegend falten. Aber das sind nicht die einzigen Veränderungen, die wir durchgemacht haben. «
    » Irgendwie wünschte ich, es wäre anders. «
    » Ich auch. Aber dieser rechtschaffene Zorn führt scheinbar immer zu einem unwiderstehlichen Zwang zu handeln. «
    » Unwiderstehlich, genau «, sagte Jilly. » Zwang, Besessenheit oder irgendetwas, wofür uns die Worte fehlen. «
    » Außerdem ist es nicht nur ein Zwang zu handeln, sondern auch … «
    Dylan zögerte, die folgenden vier Worte auszusprechen. Sie hätten die Wahrheit ausgedrückt, die den Lauf ihres Lebens bestimmen würde.
    » Okay «, sagte Shep.
    » Was ist okay, Kleiner? «
    Shepherd blickte aus dem Schatten des Turms in die glühende Landschaft hinaus. » Okay. Shep hat keine Angst. «
    » Na, dann okay. Dylan hat auch keine Angst. « Dylan atmete tief durch und vollendete, was gesagt werden musste: » Der rechtschaffene Zorn führt immer zu einem fast unwiderstehlichen Zwang, ohne Rücksicht auf irgendwelche Risiken zu handeln, und es ist nicht bloß ein Zwang zu handeln, sondern auch, das Richtige zu tun. Wir können unseren freien Willen einsetzen und uns abwenden – aber nur auf Kosten eines Verlusts an Selbstachtung, der unerträglich wäre. «
    » So etwas hat Lincoln Proctor doch bestimmt nicht im Sinn gehabt «, sagte Jilly. » Zum Vater einer Generation von echten Weltverbesserern zu werden, wäre das Letzte, was ein Typ wie der gewollt hätte. «
    » Da will ich dir gar nicht widersprechen. Der Mann war widerwärtig. Seine Vision war eine amoralische Herrenrasse, die Ordnung in die Welt bringt, indem sie dem Rest der Menschheit eins mit der Peitsche überzieht. «
    » Aber wieso sind wir dann zu dem geworden … was wir geworden sind? «
    » Vielleicht sind die Schaltkreise unseres Gehirns schon bei der Geburt darauf eingestellt, zu wissen, was richtig ist, und deshalb wissen wir auch immer, was wir tun sollten. «
    » Das hat meine Mama mir auch immer beizubringen versucht «, sagte Jilly.
    » Die Nanomaschinen haben also möglicherweise nur einige Verbesserungen an den bestehenden Schaltkreisen vorgenommen und deren Widerstände herabgesetzt. Deshalb sind wir jetzt darauf eingestellt, auf jeden Fall das Richtige zu tun, ungeachtet unserer Präferenzen und Wünsche, ungeachtet der Folgen für uns selbst, um jeden Preis. «
    Jilly kaute diese Gedanken gründlich durch, um ein endgültiges Verständnis der Regeln zu formulieren, nach denen sie von nun an leben würde, weil es das Schicksal so bestimmt hatte. » Jedes Mal, wenn ich die Vision einer Gewalttat oder einer Katastrophe habe … «
    » … und jedes Mal, wenn eine psychische Fährte mir zeigt, dass jemand in Gefahr ist oder etwas Übles vorhat … «
    » … werden wir gezwungen sein … «
    » … irgendwie das Kind schon zu schaukeln «, schloss Dylan. Er wählte diesen saloppen Ausdruck, weil er dachte, er könnte ihr damit ein Lächeln entlocken, und wenn es noch so matt war.
    Er brauchte es jetzt einfach, sie lächeln zu sehen.
    Vielleicht war ihr Gesichtsausdruck nun das Zerrbild eines Lächelns, ähnlich wie ein Vexierspiegel es zeigte, aber der Anblick munterte Dylan keineswegs auf.
    » Ich kann meine Visionen nicht abstellen «, sagte Jilly, » du kannst aber Handschuhe tragen. «
    Dylan schüttelte den Kopf.

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