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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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zu zerbrechen, die Haut zu dehnen und seine Züge für immer zu einer monströsen Fratze aufzublähen drohte.
    » Mein Gott, ich weiß es einfach nicht «, wiederholte Dylan noch einmal mit vor Sorge bebender Stimme, während er aus der Auffahrt ostwärts auf die rechte Spur der Interstate einbog.
    Andere Fahrzeuge, allesamt schneller als der Ford, rasten durch das nächtliche Arizona auf New Mexico zu. Vom verzweifelten Wimmern und Stöhnen seines Bruders abgelenkt, gelang es Dylan nicht, sich dem allgemeinen Tempo anzupassen.
    Dann tat der gute Shep – der sanfte, friedfertige Shep – etwas, was er noch nie getan hatte. Er fing an, sich mit den geballten Fäusten heftig ins Gesicht zu schlagen.
    Von der Pflanze auf ihrem Schoß behindert, drehte Jilly sich unbeholfen halb nach hinten. » Nein, Shep, hör auf damit «, schrie sie. » Bitte, hör auf! «
    Trotz der Notwendigkeit, sich möglichst weit von den Männern in den schwarzen Kombis abzusetzen, betätigte Dylan den rechten Blinker, lenkte den Wagen auf das breite Bankett der Schnellstraße und hielt an.
    Shep unterbrach seine selbst gewähl te Bestrafung für einen kurzen Augenblick. » Sie tun ihr Werk « , flüsterte er, und dann schlug er wieder unablässig auf sich ein.
     

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    Nachdem Jilly ausgestiegen war, damit Dylan O ’ Conner mit seinem Bruder etwas allein sein konnte, pflanzte sie ihren noch normal großen Hintern auf die Leitplanke. Den ungeschützten Rücken wandte sie der weiten Wüste zu, wo Giftschlangen durch die Hitze der Nacht krochen, wo Taranteln, so haarig wie die fanatischen Mullahs der Taliban, auf der Suche nach Beute umherhuschten und wo die gruseligsten Krabbeltiere, die dieses grausame Reich aus Fels, Sand und dürrem Gestrüpp bewohnten, noch furchterregender waren als Schlangen und Spinnen.
    Die Kreaturen, die Jilly von hinten bedrohten, interessierten sie allerdings weniger als jene, die womöglich von Westen in identischen schwarzen Kombis heranbrausten. Wenn die bereit waren, einen tadellos erhaltenen Cadillac Coupe DeVille, Baujahr 1956, in die Luft zu jagen, dann waren sie zu jeder Gräueltat fähig.
    Obwohl Jilly nicht mehr schlecht oder schwindlig war, fühlte sie sich nicht ganz auf der Höhe. Das Herz hüpfte ihr zwar nicht mehr in der Brust wie eine Kröte, was es während der Flucht vom Motelparkplatz getan hatte, aber so ruhig wie das eines Chormädchens schlug es auch wieder nicht.
    So ruhig wie ein Chormädchen. Das war ein Spruch, den Jilly von ihrer Mutter hatte. Mit ruhig hatte Mama nicht bloß gelassen und gefasst gemeint, sondern auch züchtig und gottgefällig und vieles mehr. War Jilly als Kind ins Schmollen verfallen oder hatte sie sich in ein heftiges Gekränktsein hineingesteigert, so hatte ihre Mutter ihr immer das leuchtende Vorbild eines Chormädchens vorgehalten; und als sie als Teenager vom aalglatten Gehabe jedes pickligen Casanovas beeindruckt ge wesen war, hatte ihre Mutter ihr noch immer mit düsterem Blick empfohlen, sich am moralischen Ideal des so oft zitierten fiktiven Chormädchens zu orientieren.
    Irgendwann war Jilly tatsächlich in den Kirchenchor eingetreten, teilweise, um ihre Mutter davon zu überzeugen, dass ihr Herz rein geblieben war, teilweise aber auch, weil sie sich ausmalte, eine weltberühmte Popsängerin zu werden. Schließlich hatte ein erstaunlicher Teil aller weiblichen Popstars in seiner Jugend im Kirchenchor gesungen. Der engagierte Chorleiter, der auch Stimmbildung unterrichtete, überzeugte sie bald davon, dass sie dazu bestimmt war, Background- statt Solosängerin zu werden. Ihr ganzes Leben aber nahm eine neue Wendung, als er sie fragte: » Wieso willst du eigentlich überhaupt singen, Jillian, wenn du so ein tolles Talent hast, die Leute zum Lachen zu bringen? Klar, wenn man einfach nicht lachen kann, hört man gern Musik, um in bessere Stimmung zu kommen, aber Lachen ist immer die beste Medizin. «
    Hier und jetzt an der Interstate, weit von Kirche und Mutter entfernt, aber voll Sehnsucht nach beidem, saß Jilly mit so geradem Rücken auf der stählernen Leitplanke, wie sie einst auf der Chorbank gesessen hatte. Sie legte die Hand an die Kehle und spürte das systolische Pochen ihrer rechten Halsschlagader. Ihr Puls war zwar schneller als der eines frommen Chormädchens, dessen Herz von Chorälen über göttliche Liebe und einem wunderschön gesungenen Kyrieeleison beruhigt worden war, aber er raste auch nicht vor wilder Panik. Dafür klopfte er in einem

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