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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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genauso real war wie die Körperöle, die ein Muster aus Hautrillen bildeten.
    Der mit Rosen verzierte Teppich, der in der Mitte der Treppe nach oben lief, war genauso fadenscheinig wie sein Gegenstück im Flur. Allerdings sah das Muster hier kühner aus; es zeigte weniger Blumen, dafür aber mehr Stacheln, so als wollte es darauf hinweisen, dass Dylans Aufgabe mit jeder Station seiner Reise dorniger wurde.
    Dylan betrat die Treppe, obgleich es kein vernünftiges Argument dafür gab. Als er die rechte Hand am Geländer entlanggleiten ließ, zuckten die Spuren des bösartigen Wesen s u nter seiner Handfläche und sprühten Funken unter seinen Fingerspitzen, aber durch seinen Kopf schwärmten keine Leuchtkäfer mehr. Auch das elektrische Knistern in seinem Innern war vollständig verschwunden, und die Zunge flatterte schon nicht mehr, seit er in der Küche die Bierdose berührt hatte. Er hatte sich an seine unheimliche Witterung angepasst, und weder sein Geist noch sein Körper leisteten den Strömen übernatürlicher Empfindung jetzt noch Widerstand.
    *
    Selbst das Erscheinen unbekannter Eindringlinge und eine Ahnung drohender Gewalt konnten die natürliche Liebenswürdigkeit der weißhaarigen Frau nicht lange unterdrücken, ein Naturell, das bei der Ausbildung durch die Fastfoodkette, für die sie arbeitete, zweifellos noch geschickt gefördert worden war. Ihre Besorgnis wich zuckend einem schwachen Lächeln, und sie bot Jilly die Hand, die sich eigentlich schon eifrig wie von selbst schüttelte. » Hallo, ich heiße Marjorie. Und wer sind Sie? «
    Wäre Jilly nur für Shepherd verantwortlich gewesen, so wäre sie in den Flur gegangen, um Dylan zu suchen, aber nun hatte der ihr die Verantwortung für noch jemanden übertragen, für diese Frau. Sie wollte Shep nicht unbedingt länger allein im Wagen sitzen lassen, aber wenn sie Marjorie mit dem Telefon allein ließ, schwirrten hier bald mehr Kleinstadtpolizisten herum als bei einem Treffen von Star-Trek- Fans .
    Außerdem war Marjorie von Dylan aufgefordert worden, sie solle das Haus verlassen, weil sie in Gefahr sei, wohingegen das alte Mädchen, das wohl auf die Siebzig zuging, offenbar in ihrer Naivität keine tödliche Gefahr erkennen konnte, selbst wenn das Damoklesschwert schon dabei war, auf ihren Hals niederzusausen. Wenn Jilly sie hier nicht herausschaffte, harrte Marjorie womöglich etwas besorgt, aber kaum richtig alarmiert selbst dann in der Küche aus, wenn eine Kolonne heißhungriger Heuschrecken aus der Speisekammer schwärmte oder wenn flüssige Lava aus dem Abfluss des Spülbeckens blubberte.
    » Ich heiße Marjorie «, wiederholte die Frau. Ihr schwaches Lächeln zitterte auf ihrem Mund wie Schaum, der sich jederzeit wieder in der Flut aus Sorgen auflösen konnte, die ihre Züge zuvor überschwemmt hatte. Sie streckte Jilly noch immer die Hand hin und wartete eindeutig auf einen Namen – den sie später der Polizei nennen würde, wenn sie die irgendwann doch noch gerufen hatte.
    Jilly legte Marjorie den Arm um die Schulter und schob sie sanft zur Hintertür. » Meine Liebe, nennen Sie mich doch einfach Chickensandwich-Pommes-Malzbier. Oder kurz Chicky. «
    *
    Jeder weitere Kontakt mit der Substanz auf dem Geländer wies darauf hin, dass die Person, deren Fährte Dylan folgte, noch bösartiger war, als es die früheren Spuren hatten erahnen lassen. Als er sich auf dem Treppenabsatz umdrehte, um die restlichen Stufen zu erklimmen, die ins Dunkel weiter oben führten, war ihm klar, dass ihn im Obergeschoss ein Gegner erwartete, der eigentlich nicht von einem völlig gewaltlosen Künstler besiegt werden konnte, sondern nur von einem wahren Drachentöter.
    Vor kaum einer Minute, als er unten die alte Frau einerseits gesund und munter gesehen hatte, andererseits so, wie sie womöglich nach ihrer Ermordung aussehen würde, hatte er zum ersten Mal gespürt, dass blanker Schrecken wie eine Schlange in ihn hineinkroch. Nun legten sich die kalten Schlingen enger um sein Rückgrat.
    » Bitte « , flüsterte Dylan, als glaubte er immer noch, sich in der eisernen Faust einer unbekannten äußeren Kraft zu befinden, der er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. » Bitte « , wiederholte er, als wäre es ihm noch nicht eindeutig klar geworden, dass dieser sechste Sinn – ob Segen oder Fluch – ihm durch das Elixier zuteil geworden war, das die Spritze enthalten hatte. Aber da er nun genau wusste, dass er seinen gefährlichen Weg ganz ohne Zwang verfolgte,

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