Kalt
fröhliche Mrs. Santa Claus, die sie gewesen war, als sie Dylan vor ein paar Stunden seine Hamburger eingepackt und ihm den Krötenbutton ans Hemd gesteckt hatte.
Auf der Ablage neben dem Herd stand eine große weiße Tüte aus dem Fastfoodschuppen, offenbar ihr verbilligter Verzehr für Angestellte. Das Aroma von Fett, Zwiebeln, Käse und gegrilltem Fleisch hatte den Raum bereits mit einer leckeren Duftmischung überflutet.
Die Frau stand neben dem Küchentisch. Ihr rosiges Gesicht war grau geworden und trug einen Ausdruck, der zwischen Kummer und Verzweiflung pendelte. Sie starrte auf die Resopalplatte des Tischs, auf dem verschiedene Gegenstände z u e inem Stillleben arrangiert waren, wie es die alten Meister wohl kaum gemalt hätten: zwei leere Dosen Budweiser, eine aufrecht, die andere liegend, beide halb zerdrückt; eine verstreute Sammlung von Pillen und Kapseln, viele weiß, manche rosa, einige auch groß und grün; ein Aschenbecher mit zwei weißen Stummeln – nicht die Reste von selbst gedrehten Zigaretten, sondern von zwei Marihuanaj oints.
Dass Dylan hereingekommen war, hatte die Frau wohl nicht gehört. Auch die Bewegung der Tür hatte sie offenbar nicht mitbekommen, und eine kleine Weile nahm sie ihn auch weiterhin nicht wahr. Als sie endlich bemerkte, dass sie Besuch hatte, hob sie den Blick vom Tisch und sah ihm ins Gesicht, war von dem Anblick des Arrangements auf dem Tisch aber wohl zu betäubt, um wegen Dylans Eintreffen überrascht oder gar darüber bestürzt zu sein.
Dylan sah sie lebend, tot, lebend, tot, und die leise Angst, die ihm eiskalt durch die Adern lief, verdichtete sich zu blankem Schrecken.
15
Hätte sich Dylan, als er durchs Scheinwerferlicht ging und sein gelb-blaues Hemd wie ein Nachmittag auf Maui leuchtete, vor Jillys Augen in Luft aufgelöst, weil er aus dieser Welt in eine andere Realität übergewechselt war, so wäre Jilly wahrscheinlich überrascht, aber nicht fassungslos gewesen. Die halsbrecherische Rückfahrt in den Ort war ein Expresstrip ins Reich des Unheimlichen gewesen, und nach Jillys Vision in der Wüste samt dem Strom gespenstischer Tauben war sie womöglich bis zu ihrem Lebensende zu so etwas wie Fassungslosigkeit nicht mehr fähig.
Als Dylan vor dem Wagen doch nicht verschwand, als er tatsächlich den Ziegelweg erreichte und auf das Haus zuging, drehte Jilly sich zum Rücksitz zu Shepherd um.
Sie erwischte ihn dabei, wie er sie beobachtete. Die Blicke der beiden kreuzten sich. Durch den Schock des Kortakts weiteten sich Shepherds Augen kurz, und dann schloss er sie.
» Du bleibst hier, Shep. «
Er antwortete nicht.
» Bleib einfach sitzen. Wir sind gleich zurück. «
Unter den bleichen Lidern zuckten Shepherds Augen unablässig.
Als Jilly zum Haus hinüberschaute, sah sie, dass Dylan den Fußweg verlassen hatte und schräg auf die Einfahrt zuging. Sie lehnte sich zum Fahrersitz hinüber und schaltete die Scheinwerfer aus. Stellte den Motor ab. Zog den Zündschlüssel heraus.
» Hast du verstanden, Shep? «
Sheps fest geschlossene Augen schienen voller Bilder zu sein. Sie bewegten sich schneller als die eines Schlafenden, der von Albträumen gepeinigt wurde.
» Steig nicht aus, bleib hier, steig nicht aus, wir sind gleich zurück «, sagte Jilly mahnend, während sie die Tür auf ihrer Seite öffnete und sich mit angezogenen Beinen nach rechts drehte, um Fred nicht zu gefährden.
Oliven bedeckten den Gehsteig und wurden von Jillys Sohlen zermatscht. Es sah hier aus, als hätten die Nachbarn sich vor kurzem zu einer Cocktailparty im Freien versammelt und die Garnierung ihrer Drinks weggeworfen, statt sie zu verzehren.
Dylan folgte inzwischen der Einfahrt in die abgestuften Schatten, die über der Limousine im Carport lagen, war jedoch immer noch zu sehen.
Ein Windhauch, so trocken wie ein gerührter Gin mit einem einzigen Tropfen Wermut, weckte ein feines, seidiges Rascheln in den Olivenbäumen. Und über diesem verführerischen Wispern hörte Jilly ein Hann-na-na-na-na-na-na-na!
Das unheimliche Stottern schraubte sich durch die Windungen von Jillys Ohren in den Kopf und schien von dort ins Rückgrat zu springen, wo es von Wirbel zu Wirbel vibrierte und sie zum Erschaudern brachte.
Kaum hatte Dylan die letzte Silbe ausgesprochen, da war er auch schon durch die Rückseite des Carports verschwunden.
Jilly spürte, wie sie mit den Füßen Olivenpaste machte, während sie den Gehsteig überquerte. Sie schlurfte durchs Gras, um die Sohlen
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