Kaltblütig
wirklich einen verhaften? Wenn, dann ist es garantiert jemand, den alle kennen. Und das würde das Feuer anfachen und den Pott wieder zum Kochen bringen, wo er doch gerade dabei war, sich ein bisschen abzukühlen. Wenn Sie mich fragen, wir haben hier weiß Gott genug Aufregung gehabt.«
Es war noch früh, kurz vor neun, und Perry war der erste Kunde in der Washateria, einem Waschsalon. Er öffnete seinen prall gefüllten Strohkoffer, entnahm ihm ein Bündel Unterwäsche, Socken und Hemden (teils von ihm, teils von Dick), warf es in eine Maschine und steckte eine der Bleimünzen in den Schlitz, mit denen sie sich in Mexiko eingedeckt hatten.
Perry war mit den Gepflogenheiten in solchen Einrichtungen vertraut; er hatte sie oft und gern in Anspruch genommen, nicht zuletzt weil er es normalerweise »so beruhigend« fand, still dazusitzen und der Wäsche dabei zuzusehen, wie sie sauber wurde. Heute nicht. Dazu war er zu ängstlich und zu nervös. Trotz seiner Bedenken hatte Dick sich durchgesetzt. Und jetzt waren sie hier, zurück in Kansas City – noch dazu total abgebrannt und mit einem gestohlenen Wagen! Die ganze Nacht waren sie mit dem Chevrolet aus Iowa durch den strömenden Regen gerast und hatten nur zweimal angehalten, um Benzin abzusaugen, beide Male aus Fahrzeugen, die auf den menschenleeren Straßen schlafender Kleinstädte parkten. (Das war Perrys Aufgabe, denn darin war er nach eigener Aussage »einsame Spitze. Nur ein kleiner Gummischlauch, das ist mein Freifahrschein durchs ganze Land.«) Als sie bei Sonnenaufgang nach Kansas City kamen, steuerten sie zunächst den Flughafen an, wo sie sich auf der Herrentoilette wuschen, rasierten und die Zähne putzten; zwei Stunden später, nach einem Nickerchen in der Wartehalle, fuhren sie in die Stadt.
Dick hatte seinen Partner an der Washateria abgesetzt und versprochen, in spätestens einer Stunde zurück zu sein.
Als die Wäsche sauber und trocken war, packte Perry sie wieder in den Koffer. Es war nach zehn. Dick, der angeblich irgendwo einen »heißen Scheck« unter die Leute brachte, war überfällig. Perry setzte sich zum Warten auf eine Bank, auf der, nur eine Armlänge entfernt, eine Frauenhandtasche lag – am liebsten hätte er die Hand hineingeschoben und sie heimlich durchsucht.
Doch die Erscheinung der Besitzerin – die bei weitem stämmigste der Frauen, die sich an den Waschautomaten zu schaffen machten – hielt ihn davon ab. Früher, in seiner Zeit als Straßenjunge in San Francisco, hatten er und ein kleiner Chinese (Tommy Chan? Tommy Lee?) als »Handtaschenräuber-Duo« gearbeitet. Die Erinnerung an ihre Eskapaden amüsierte Perry, heiterte ihn auf. »Einmal haben wir uns an eine steinalte Frau rangemacht, und Tommy packte ihre Handtasche, aber sie wollte nicht loslassen, sie kämpfte wie ein Löwe. Je fester er in eine Richtung zog, desto fester zog sie in die andere. Als sie mich sah, rief sie: ›Hilf mir! Hilf mir!‹, und ich sagte: ›Nee, Lady, ich helfe ihm !‹ und boxte sie so fest, dass sie der Länge nach hinschlug. Ganze neunzig Cent haben wir damals erbeutet – ich weiß es noch wie heute. Wir sind zum Chinesen gegangen und haben uns den Bauch vollgeschlagen.«
Seither hatte sich nicht allzu viel geändert. Zwar war Perry über zwanzig Jahre älter und fast fünfzig Kilo schwerer, doch in finanzieller Hinsicht stand er sich kein bisschen besser. Er war nach wie vor (kaum zu glauben, ein Mensch mit seiner Intelligenz, seinen Talenten!) ein Strolch, angewiesen auf gestohlenes Kleingeld.
Immer wieder fiel sein Blick auf die Uhr an der Wand.
Um halb elf begann er sich Sorgen zu machen; um elf pulsierten seine Beine vor Schmerzen, Anzeichen aufkommender Panik – »das große Flattern«. Er schluckte ein Aspirin und versuchte die ungemein lebhafte Parade, die schier endlose Prozession bedrückender Bilder, die an seinem geistigen Auge vorüberzog, auszulöschen oder doch zumindest zu verwischen: Dick in den Fängen der Polizei, womöglich verhaftet, als er einen ungedeckten Scheck ausschreiben wollte oder in eine Verkehrskontrolle geraten war (bei der man festgestellt hatte, dass er einen »heißen« Wagen fuhr). Höchstwahrscheinlich saß Dick längst auf einer Wache, umringt von einem Rudel stiernackiger Detectives. Und dabei ging es nicht um Bagatellen – faule Schecks oder gestohlene Autos. Es ging vielmehr um Mord, denn obwohl Dick nicht damit gerechnet hatte, war es irgendjemandem gelungen, eins und eins
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