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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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»unvorstellbar« hielt, dass diese Männer, in der Hoffnung, dort einen Safe randvoll mit Geld zu finden, in ein Haus eingedrungen sein und es, als sie nichts dergleichen fanden, für opportun erachtet haben sollten, die Familie wegen ein paar lumpiger Dollar und eines kleinen Kofferradios abzuschlachten. »Ohne Geständnis kommen wir nie zu einer Verurteilung«, sagte er.
    »Wenn Sie mich fragen. Und darum können wir gar nicht vorsichtig genug sein. Sie glauben, sie sind ungeschoren davongekommen. Und wir werden den Teufel tun, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Je sicherer sie sich fühlen, desto eher schnappen wir sie.«
    Doch in einer Stadt von der Größe Garden Citys ist es nicht leicht, etwas geheim zu halten. Im Sheriff’s Office, drei karg möblierten, stark frequentierten Räumen im zweiten Stock des Amtsgerichts, herrschte eine seltsame, fast düstere Atmosphäre. Von dem Rummel und der hektischen Betriebsamkeit der letzten Wochen war nichts mehr zu spüren; eine vibrierende Stille hatte sich in der Büroflucht breitgemacht. Mrs. Richardson, die Sekretärin, eigentlich eine eher nüchterne Person, hatte sich quasi über Nacht gleich eine ganze Anzahl affektierter Manierismen zugelegt und stöckelte flüsternd umher, während die Männer, für die sie tätig war – der Sheriff und seine Mitarbeiter, Dewey und das zugezogene Team von KBI-Agenten –, auf Zehenspitzen gingen und sich in gedämpftem Tonfall unterhielten, als fürchteten sie, wie Jäger, die im Wald auf der Lauer liegen, dass jedes plötzliche Geräusch, jede unachtsame Bewegung das nahende Wild vertreiben könnte.
    Es wurde viel geredet. Der Trail Room des Hotels Warren, ein Café, das die Geschäftsleute von Garden City als eine Art Privatclub nutzen, glich einer Höhle, die von Spekulationen und Gerüchten schwirrte. Ein angesehener Bürger, hieß es, stehe kurz vor der Verhaftung. Oder: Inzwischen wisse man, dass die Killer von Gegnern der Kansas Wheat Farmers’ Association beauftragt worden seien, einer fortschrittlichen Organisation, in der Mr. Clutter eine wichtige Rolle gespielt hatte. Von den zahllosen Geschichten, die im Umlauf waren, kam die eines prominenten Autohändlers (der sich weigerte, die Quelle preiszugeben) der Wahrheit mit am nächsten: »Es scheint da jemanden zu geben, der vor Ewigkeiten – so um ’47, ’48 – mal für Herb gearbeitet hat. Ein einfacher Rancharbeiter. Der Bursche wanderte ins Gefängnis, ins Staatsgefängnis, und da saß er nun und machte sich so seine Gedanken darüber, wie reich Herb doch war. Und als er vor gut vier Wochen rauskam, ist er schnurstracks hierhergekommen und hat die Leute beraubt und ermordet.«
    Doch sieben Meilen weiter westlich, in dem kleinen Ort Holcomb, hatte man von sensationellen Entwicklungen noch nichts vernommen, unter anderem deshalb, weil die Clutter-Tragödie in den Klatschküchen des Dorfes – dem Postamt und Hartman’s Café – als Tabuthema galt. »Ich persönlich will kein Wort mehr davon hören«, sagte Mrs. Hartman. »Ich hab ihnen gesagt: So kann es doch nicht weitergehen. Keiner traut dem anderen übern Weg, alle machen sich gegenseitig verrückt. Wer weiter darüber reden will, hab ich gesagt, für den ist hier bei mir kein Platz.« Myrt Clare vertrat einen ähnlich dezidierten Standpunkt. »Die Leute kommen hier rein, kaufen für fünf Cent Briefmarken und meinen, sie können sich dann die nächsten drei Stunden und dreiunddreißig Minuten über die Clutters das Maul zerreißen. Andere Leute in den Dreck ziehen. Klapperschlangen, alle miteinander. Für so was hab ich keine Zeit. Ich bin im Dienst – ich vertrete die Regierung der Vereinigten Staaten. Das ist doch alles nicht normal. Al Dewey und seine Superpolizisten aus Topeka und Kansas City – die haben die Weisheit ja angeblich mit Löffeln gefressen. Aber ich kenn nicht einen, der auch nur einen roten Heller darauf gibt, dass die den Burschen jemals schnappen. Und deshalb ist es meiner Meinung nach das Vernünftigste, den Mund zu halten. Man lebt, bis man stirbt, wie man abtritt, spielt da keine große Rolle; tot ist tot. Wozu also gackern wie ein Stall voll aufgescheuchter Hühner, bloß weil jemand Herb Clutter die Kehle durchgeschnitten hat? Das ist doch alles nicht normal. Polly Stringer, drüben aus der Schule? Polly Stringer war heut Morgen hier. Sie hat gesagt, erst jetzt, nach über einem Monat, bekrabbeln sich die Kinder langsam wieder. Da hab ich so bei mir gedacht: Was, wenn sie

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