Kaltblütig
zusammenzuzählen. Und jetzt war ein Streifenwagen unterwegs zur Washateria.
Aber nein, seine Fantasie ging mit ihm durch. Dick würde nie im Leben »singen«. Wie oft schon hatte er ihn sagen hören: »Und wenn sie mich windelweich prügeln, aus mir kriegen sie kein Wort heraus«? Klar, Dick war ein »Großmaul«; wie Perry inzwischen wusste, war er immer nur dann ein harter Bursche, wenn er eindeutig Oberwasser hatte. Plötzlich, endlich fiel ihm ein erfreulicherer Grund für Dicks Verspätung ein. Er besuchte seine Eltern. Ein riskantes Unterfangen, aber Dick liebte sie »über alles«, das behauptete er jedenfalls, und gestern Nacht, auf ihrer langen Regenfahrt, hatte er Perry erklärt:
»Ich würde ja zu gern bei meinen Alten vorbeischauen.
Die würden garantiert dichthalten. Das heißt, sie würden dem Bewährungshelfer nichts verraten – oder uns sonstwie in Schwierigkeiten bringen. Aber ich schäme mich so. Ich kann mir schon denken, was meine Mutter sagen würde. Von wegen den Schecks. Und dass wir einfach abgehauen sind. Ach, wenn ich sie doch wenigstens anrufen könnte, hören, wie es ihnen geht.«
Aber das war nicht möglich, denn die Hickocks hatten kein Telefon; sonst hätte Perry sie längst gefragt, ob Dick bei ihnen sei.
Nach ein paar Minuten war er von neuem überzeugt, dass sie Dick verhaftet hatten. Der Schmerz in seinen Beinen flammte auf, durchzuckte seinen Körper, und mit einem Mal verursachte der Geruch der Wäsche, der dampfige Gestank ihm Übelkeit, trieb ihn jäh zur Tür hinaus. Er stand an der Bordsteinkante und würgte wie »ein Säufer, der nicht kotzen kann«. Kansas City! Hatte er nicht gewusst, dass Kansas City Unglück brachte, und Dick förmlich auf Knien angefleht, nicht hierherzukommen? Das hatte Dick nun davon, dass er nicht auf ihn gehört hatte. Und er fragte sich: Was wird aus mir, »mit zehn oder zwanzig Cent und einer Handvoll Bleimünzen in der Tasche«? Wo sollte er hin? Wer würde ihm helfen? Bobo? Nie und nimmer! Aber ihr Mann vielleicht. Wäre es nach Fred Johnson gegangen, hätte er Perry nach der Entlassung eine feste Arbeit garantiert und ihm so zu einer Bewährung verholfen. Doch Bobo war dagegen; das gebe sowieso bloß Ärger, meinte sie, und gefährlich sei es obendrein. Und ebendies hatte sie Perry denn auch geschrieben. Eines schönen Tages würde er ihr das heimzahlen, sich einen Spaß daraus machen, auf sie einzureden, sie von seinen Fähigkeiten überzeugen, ihr in allen Einzelheiten darlegen, was er anzustellen pflegte mit Leuten wie ihr, ehrenwerten Leuten, satt und selbstherrlich, genau wie Bobo. Ja, ihr zeigen, wie gefährlich er tatsächlich war, und ihr dabei in die Augen sehen. Allein dafür würde sich ein Abstecher nach Denver lohnen. Also – auf nach Denver, die Johnsons besuchen. Fred Johnson würde ihm wieder auf die Beine helfen, bis er auf eigenen Füßen stehen konnte; das würde er auch müssen, wenn er ihn je wieder loswerden wollte.
Plötzlich stand Dick an der Bordsteinkante. »He, Perry«, sagte er. »Ist dir schlecht?«
Dicks Stimme wirkte wie die Injektion mit einer hochwirksamen Droge, einem Rauschmittel, das ihn, als es ihm durch die Adern strömte, in einen Taumel widersprüchlicher Gefühle stürzte: Erregung und Erleichterung, Zuneigung und Wut. Er ging mit geballten Fäusten auf Dick zu. »Du Arschloch«, sagte er.
Dick grinste und sagte: »Komm. Wir gehen erst mal was essen.«
Aber eine Erklärung – und eine Entschuldigung – war fällig, und bei einem Teller Chili in Dicks Lieblingslokal, dem Eagle Büffet, rückte Dick damit heraus. »Tut mir leid, Schätzchen. Ich wusste, dass dir die Muffe geht. Du hast wahrscheinlich gedacht, ich hab mich mit ’nem Bullen angelegt. Aber ich hatte ’ne derartige Glückssträhne, das konnte ich mir unmöglich entgehen lassen.«
Nachdem er Perry abgesetzt hatte, war er zur Markl Buick Company gefahren, wo er früher gearbeitet hatte, in der Hoffnung, einen Satz Nummernschilder zu finden, die er gegen die verräterischen Iowa-Kennzeichen an dem gestohlenen Chevrolet austauschen konnte. »Kein Schwein hat mich gesehen. Markl kauft immer mal wieder Unfallwagen an. Und siehe da, auf dem Hof stand ein demolierter De Soto mit Kansas-Schildern.« Und die seien jetzt wo? »Na, an unserer Karre, Mensch.«
Nachdem die neuen Kennzeichen montiert worden waren, hatte Dick die alten in ein städtisches Wasserreservoir geworfen. Dann war er zu einer Tankstelle gefahren, wo ein Freund
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