Kaltblütig
von ihm arbeitete, ein ehemaliger Klassenkamerad von der High School namens Steve, und hatte diesen überredet, einen Scheck über fünfzig Dollar einzulösen, etwas, das er noch nie zuvor getan hatte – »einen Kumpel ausnehmen«. Sei’s drum, er würde Steve so oder so nie wiedersehen. Heute Abend wollte er aus Kansas City »verduften«, und zwar ein für alle Mal.
Warum nicht vorher noch ein paar alte Freunde übers Ohr hauen? Und so besuchte er einen zweiten ehemaligen Mitschüler, Verkäufer in einem Drugstore.
Wodurch die Beute auf fünfundsiebzig Dollar stieg. »Und heute Nachmittag erhöhen wir auf zweihundert. Ich habe eine Liste der Läden gemacht, die in Frage kommen.
Sechs oder sieben, und den Anfang machen wir gleich hier«, sagte er, im Eagle Büffet, wo ihn jeder – Barkeeper wie Kellner – kannte und mochte und ihn Pickles nannte (nach seiner Leibspeise, sauren Gurken). »Und dann nichts wie ab nach Florida. Was hältst du davon, Schätzchen? Hab ich dir nicht versprochen, dass wir Weihnachten in Miami verbringen? Wie all die Millionäre?«
Dewey und sein Kollege, KBI-Agent Clarence Duntz, warteten darauf, dass im Trail Room ein Tisch frei wurde.
Dewey blickte in die Gesichter der Stammgäste, die sich hier täglich zur Mittagszeit versammelten – zarthäutige Geschäftsleute und Rancher mit rauem, sonnenverbranntem Teint –, und entdeckte mehrere Bekannte: den Leichenbeschauer Dr. Fenton; den Geschäftsführer des Warren, Tom Mahar; Harrison Smith, der letztes Jahr für den Posten des Bezirksstaatsanwalts kandidiert und die Wahl an Duane West verloren hatte; und Herbert W.
Clutter, den Besitzer der River Valley Farm, mit dem Dewey zur Sonntagsschule gegangen war. Moment mal!
War Herb Clutter denn nicht tot? Und war Dewey nicht sogar bei seiner Beerdigung gewesen? Doch da saß er, in der halbrunden Ecknische des Trail Rooms, mit seinen lebhaften braunen Augen und seinem kantigen Kinn, ein gut aussehender Mann mit freundlichem Gesicht, dem auch der Tod nichts hatte anhaben können. Aber Herb war nicht allein. Zwei junge Männer saßen mit am Tisch, und als Dewey sie erkannte, stieß er Duntz in die Seite.
»Guck mal da.«
»Wo?«
»In der Ecke.«
»Ich werd verrückt.«
Hickock und Smith! Aber die beiden hatten die Gefahr gewittert und sie ebenfalls erkannt. Mit den Füßen voran sprangen sie durch die große Fensterscheibe des Trail Room und rannten, mit Duntz und Dewey auf den Fersen, die Main Street entlang, vorbei an Palmer Jewelry, Norris Drugs, dem Garden Café, dann um die Ecke zum Bahnhof hinunter, hin und her und her und hin, ein richtiggehendes Versteckspiel zwischen der Ansammlung weißer Getreidesilos. Dewey zog seine Pistole, Duntz tat es ihm nach, doch als sie anlegten und zielten, geschah etwas Unerklärliches. Plötzlich, auf wundersame Weise (es war wie im Traum!) schwammen sie, durchpflügten Verfolgte wie Verfolger die unermesslich weite Wasserfläche, die die Handelskammer von Garden City als »der Welt größtes Freibad« preist. Doch kaum hatten die Detectives mit den Gesuchten gleichgezogen, wurde die Szene erneut ausgeblendet (Wie war das möglich? War es am Ende wirklich nur ein Traum?), und er fand sich abermals an einem anderen Schauplatz wieder: auf dem Valley View Cemetery, jener graugrünen Insel von Gräbern, Bäumen und Blumenpfaden, einer verschwiegenen, baumbestandenen, flüsternden Oase, die wie ein kühler Wolkenschatten auf der leuchtenden Weizenebene nördlich der Stadt lag. Aber jetzt war Duntz verschwunden, und Dewey war allein mit den Gejagten.
Obwohl er sie nicht sehen konnte, war er sicher, dass sie sich zwischen den Toten versteckten, hinter einem Grabstein kauerten, vielleicht sogar hinter dem Grabstein seines eigenen Vaters: »Alvin Adams Dewey, 6. September 1879 – 26. Januar 1948.« Mit gezogener Waffe schlich er die stillen Friedhofswege entlang, bis er Gelächter hörte und, dem Geräusch nachgehend, feststellte, dass Hickock und Smith sich keineswegs versteckten, sondern breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt und den Kopf in den Nacken geworfen, links und rechts des noch namenlosen Gemeinschaftsgrabes von Herb und Bonnie, Nancy und Kenyon standen und lachten. Dewey drückte ab … noch einmal … und noch einmal … Weder Smith noch Hickock wankte, obwohl er beide dreimal ins Herz getroffen hatte; sie wurden vielmehr langsam durchsichtig, unsichtbar, lösten sich in Luft auf, während ihr Gelächter zu solch
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