Kaltblütig
eines Mörders unterscheidet das Gesetz (wie bei allen Straftätern) zwischen zurechnungsfähigem und unzurechnungsfähigem Individuen. Der ›zurechnungsfähige‹ Mörder scheint aus rationalen Motiven zu handeln, die zwar nachvollziehbar, doch zu verurteilen sind, der ›unzurechungsfähige‹ hingegen aus irrationalen, sinnlosen Motiven. Wenn eindeutig rationale Motive vorliegen (z.B. wenn jemand aus Habgier mordet) oder die irrationalen Motive auf Halluzinationen oder Wahnvorstellungen beruhen (z.B. ein paranoider Patient, der seinen imaginären Verfolger tötet), stellt sich die Lage für den Psychiater relativ problemlos dar. Doch Mörder, die rational, kohärent und kontrolliert wirken, während ihre Tötungshandlungen bizarre und offenkundig sinnlose Charakteristika aufweisen, stellen ein schwieriges Problem dar, insbesondere wenn Meinungsverschiedenheiten vor Gericht und widersprüchliche Befunde über ein und denselben StrafTater vorliegen. Nach unserer Auffassung bildet die Psychopathologie eines solchen Mörders wenigstens ein spezifisches Syndrom aus, das im Folgenden beschrieben werden soll. Gewöhnlich neigen die Betroffenen zu massiven Kontrollverlusten, die den offenen Ausbruch primitiver, auf frühere, inzwischen verdrängte traumatische Erlebnisse zurückgehender Gewalt zur Folge haben.«
Die Verfasser hatten im Zuge eines Revisionsverfahrens vier Männer untersucht, die wegen scheinbar unmotivierter Morde vor Gericht gestanden hatten. Alle vier waren vor ihrem jeweiligen Prozess untersucht und als »nicht psychotisch« und »zurechnungsfähig« befunden worden. Drei der Männer hatte man zum Tode, den vierten zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. In allen vier Fällen hatte das Gericht eine psychiatrische Nachuntersuchung angeordnet, weil entweder die Verteidigung oder aber ein Verwandter oder Freund mit den vorliegenden Diagnosen unzufrieden war und also die Frage gestellt hatte: »Wie kann ein vermeintlich normaler Mensch eine solche Wahnsinnstat begangen haben wie die, derentwegen er verurteilt wurde?« Nach einer Beschreibung der vier Täter und ihrer Vergehen (ein schwarzer Soldat, der eine Prostituierte verstümmelt und zerstückelt hatte, ein Arbeiter, der einen Vierzehnjährigen erdrosselt hatte, weil dieser nicht auf seine sexuellen Avancen eingehen mochte, ein Corporal der Army, der einen Jungen erschlagen hatte, weil er glaubte, das Opfer habe sich über ihn lustig gemacht, und ein Krankenhausangestellter, der den Kopf eines neunjährigen Mädchens so lange unter Wasser gedrückt hatte, bis es ertrunken war) suchten die Verfasser nach Gemeinsamkeiten. Den Männern selbst war es ein Rätsel, warum sie ihre – mehr oder minder anonymen – Opfer getötet hatten; wie es schien, waren sie in eine traumähnliche dissoziative Trance gefallen und hatten beim Erwachen »mit Schrecken feststellen« müssen, dass ihr Opfer nicht mehr lebte. »Die vielleicht wichtigste, krankengeschichtlich bedeutsamste Übereinstimmung bestand darin, dass sie alle seit Jahren, wenn nicht von Kindesbeinen an, darunter litten, dass sie ihre aggressiven Impulse nur unzureichend unter Kontrolle hatten. So waren drei der Männer im Laufe ihres Lebens wiederholt in wüste Prügeleien geraten, die sich von üblichen Handgemengen insofern unterschieden, als sie ihre Gegner totgeschlagen hätten, wenn nicht jemand eingeschritten wäre.«
Hier, in Auszügen, einige andere Ergebnisse der Studie:
»Trotz ihrer Neigung zur Gewalt hatten alle vier Männer ein von Schwäche, körperlicher Unterlegenheit und Unzulänglichkeit bestimmtes Selbstbild. In allen Fällen zeigte sich ein hohes Maß an sexueller Gehemmtheit. Alle empfanden erwachsene Frauen als Bedrohung, und in zwei Fällen lagen offene sexuelle Perversionen vor. Auch hatten alle vier in der Kindheit unter der Angst gelitten, als ›Waschlappen‹ zu gelten, als körperlich unterentwickelt oder kränklich … Alle vier hatten nachweislich veränderte Bewusstseinszustände erlebt, häufig in Verbindung mit Gewaltausbrüchen. Zwei der Männer berichteten von schweren, einer dissoziativen Trance ähnlichen Zuständen, in deren Verlauf es zu bizarrem, gewalttätigem Verhalten kam, während die anderen über weniger schwere, vermutlich weitgehend spontane amnestische Episoden klagten. In Augenblicken der Gewalt fühlten sie sich oftmals von sich selbst isoliert oder getrennt, als würden sie einem anderen Menschen zusehen … Auch war die Kindheit in allen
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