Kaltblütig
verehrten Kollegen Mr. Fleming und Mr. Smith in jener verhängnisvollen Nacht nicht auch im Hause Clutter weilten – ein Glück, dass sie nicht dort waren und um Gnade für die zum Tode verurteilte Familie baten. Denn wenn sie dort gewesen wären – nun, dann hätten wir am nächsten Morgen wohl mehr als nur vier Leichen gezählt.«
Als Junge im heimatlichen Kentucky war Green von allen nur Pinky gerufen worden, ein Spitzname, den er seinem rosigen, sommersprossigen Teint verdankte; als er sich nun vor den Geschworenen aufbaute und sich in Hitze redete, stieg ihm selbige zu Kopf und sprenkelte sein Gesicht mit hellroten Flecken. »Ich habe nicht die Absicht, mich hier auf eine theologische Debatte einzulassen. Aber ich ahnte, dass die Verteidigung die Bibel als Argument gegen die Todesstrafe ins Feld führen würde.
Sie haben die Bibelworte gehört. Aber auch ich kann lesen.« Er schnappte sich das Alte Testament und schlug es auf. »Schauen wir doch einmal, was die Heilige Schrift zum Thema zu sagen hat. Im 2. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 13, finden wir eines der Zehn Gebote: ›Du sollst nicht töten.‹ Was sich eindeutig auf gesetzwidriges Töten bezieht, denn schon im folgenden Kapitel heißt es über die Strafe, die denjenigen erwartet, der gegen dieses Gebot verstößt: ›Wer einen Menschen schlägt, dass er stirbt, der soll des Todes sterben.‹ Mr. Fleming möchte Ihnen weismachen, dass all das mit der Ankunft Christi hinfällig geworden sei. Doch weit gefehlt. Denn Christus sagt: ›Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllend Und schließlich …« Green schien sich zu verblättern und die Bibel aus Versehen zuzuschlagen, worauf die eigens angereisten juristischen Würdenträger einander grinsend in die Seite stießen, handelte es sich dabei doch um einen im Gerichtssaal altbewährten Trick – der Anwalt, der beim Zitieren aus dem Buch der Bücher vorgibt, die gesuchte Stelle nicht zu finden, und dann, wie Green jetzt, sagt: »Sei’s drum. Ich glaube, ich kann aus dem Gedächtnis zitieren, 1. Mose 9, Vers 6: ›Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden.‹
Aber«, fuhr Green fort, »derlei Bibelexegese scheint mir wenig hilfreich. Die Rechtsvorschriften unseres Staates sehen als Strafe für vorsätzlichen Mord lebenslange Haft oder den Tod durch den Strang vor. So lautet das Gesetz.
Sie, meine Herren, sind hier, um diesem Gesetz zur Geltung zu verhelfen. Und wenn es je einen Fall gegeben hat, der die Höchststrafe rechtfertigt, dann ist es dieser.
Vier Ihrer Mitbürger wurden grausam und mitleidslos ermordet, wie Schweine abgeschlachtet. Und warum?
Nicht etwa aus Rache oder Hass. Sondern aus Geldgier. Es ging um Geld. Um das kalte, berechnende Abwägen soundso vieler Unzen Silber gegen soundso viele Unzen Blut. Und zu welch geringem Preis wurde das Leben dieser Menschen doch erkauft! Für vierzig Dollar Beute!
Zehn Dollar pro Menschenleben!« Er wirbelte herum und zeigte mit dem Finger erst auf Hickock, dann auf Smith:
»Sie kamen bewaffnet mit einem Gewehr und einem Dolch. Sie kamen, um zu rauben und zu morden …« Seine Stimme bebte, überschlug sich und erstarb, als sei sie ihm aus Abscheu vor den feixenden, Kaugummi kauenden Angeklagten buchstäblich im Halse stecken geblieben. Er wandte sich wieder zu den Geschworenen um und krächzte: »Was werden Sie tun? Was werden Sie tun mit diesen Männern, die einen Mann an Händen und Füßen fesselten, ihm die Kehle durchschnitten und ihm das Gehirn aus dem Schädel schossen? Auf die geringstmögliche Strafe erkennen? Ja, und das ist nur einer von vier Anklagepunkten. Was ist mit Kenyon Clutter, einem Jungen, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte und hilflos und gefesselt zusehen musste, wie sein Vater mit dem Tode rang? Die junge Nancy Clutter nicht zu vergessen, die die Schüsse hörte und wusste, dass sie als Nächste an der Reihe war. Nancy, die um ihr Leben flehte: ›Nicht. Ach, bitte nicht. Bitte. Bitte.‹ Welch eine Qual! Welch unbeschreibliches Martyrium! Bleibt die Mutter, die gefesselt und geknebelt mit anhören musste, wie ihr Mann und ihre geliebten Kinder einer nach dem anderen starben. Bis die Mörder, die Angeklagten, die hier vor Ihnen sitzen, schließlich in ihr Zimmer kamen, sie mit einer Taschenlampe blendeten und mit einem Gewehrschuss die Existenz einer ganzen Familie
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