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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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wie er »mit Schrecken« feststellte, sondern »eine Schlüsselfigur in einer traumatischen Konstellation«: sein Vater? Die Nonnen, die ihn im Waisenhaus verspottet und geschlagen hatten? Der verhasste Army-Sergeant? Der Bewährungshelfer, der ihm verboten hatte, »je wieder einen Fuß nach Kansas zu setzen«? Einer von ihnen oder alle zusammen.
    Bei seinem Geständnis hatte Smith gesagt: »Ich wollte dem Mann nichts tun. Ich fand ihn eigentlich sehr nett.
    Höflich. Bis ich ihm die Kehle durchschnitt.« Und zu Donald Cullivan hatte er gesagt: »Sie (die Clutters) hatten mir ja nichts getan. Nicht so wie die anderen. All die anderen, die mir das Leben zur Hölle gemacht haben. Die Clutters waren wahrscheinlich schlicht und einfach diejenigen, die dafür büßen mussten.«
    Wie es schien, waren Fachmann und Laie auf verschiedenen Wegen zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt.
    Der Geldadel von Finney County hatte den Prozess bislang geflissentlich ignoriert. »Wer etwas auf sich hält«, verkündete die Gattin eines reichen Ranchers, »interessiert sich nicht für solche Dinge.« Dennoch mischte sich am letzten Verhandlungstag ein großer Teil des örtlichen Establishments unter das gemeine Volk im Sitzungssaal.
    Dessen Anwesenheit war eine Höflichkeitsgeste gegenüber Richter Tate und Logan Green, ihrerseits geschätzte Angehörige der Oberschicht. Auch eine erkleckliche Anzahl ortsfremder Juristen füllte die Bänke; viele von ihnen hatten einen weiten Weg auf sich genommen, nur um Greens Schlussplädoyer zu hören. Green, ein ebenso verbindlicher wie unnachgiebiger kleiner Mann von etwas mehr als siebzig Jahren, genießt unter Kollegen einen imposanten Ruf, und das nicht zuletzt seiner schauspielerischen Fähigkeiten wegen – sein unbestechliches Gespür für Timing steht dem eines Nachtclub-Comedians nicht nach. Als versierter Strafrechtler übernimmt er normalerweise die Rolle des Verteidigers; in diesem Fall jedoch hatte die Anklage ihn Duane West als Assistent zur Seite gestellt, weil man den jungen Bezirksstaatsanwalt für zu unerfahren hielt, um einen Prozess dieses Kalibers ohne den sachkundigen Beistand des Älteren zu führen.
    Wie es sich für einen echten Star gehört, bildete sein Auftritt den Abschluss des Programms. Vorausgegangen waren Richter Tates nüchterne Belehrung der Geschworenen sowie die Schlussbemerkung des Bezirksstaatsanwalts: »Besteht auch nur der geringste Zweifel an der Schuld der Angeklagten? Nein! Egal, wer den Abzug von Richard Eugene Hickocks Flinte betätigt hat, beide Männer sind gleichermaßen schuldig. Es gibt nur eine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass diese Männer nie wieder die Städte und Gemeinden dieses Landes unsicher machen. Wir fordern die Höchststrafe – den Tod. Und wir fordern sie nicht aus Rache, sondern in aller Demut …«
    Dann wurden die Plädoyers der beiden Verteidiger gehört. Flemings Rede, die ein Journalist als »Süßholzgeraspel« bezeichnete, war letztlich wenig mehr als eine salbungsvolle, kirchenfromme Predigt: »Der Mensch ist kein Tier. Er hat nicht nur einen Leib, sondern auch eine Seele, und diese Seele ist unsterblich. Es ist meine feste Überzeugung, das kein Mensch das Recht hat, dieses Haus, diesen Tempel der Seele zu zerstören …« Harrison Smith, der ebenfalls nicht umhinkam, an das christliche Empfinden der Geschworenen zu appellieren, sprach hauptsächlich über die Sünde der Todesstrafe: »Sie ist ein Relikt aus barbarischen Zeiten. Das Gesetz sagt uns, dass die Vernichtung menschlichen Lebens unrecht sei, und dann tut es genau das, was es verbietet. Was fast ebenso verwerflich ist wie das Verbrechen, das es damit bestraft hat. Der Staat hat nicht das Recht, die Todesstrafe zu verhängen. Sie ist wirkungslos. Sie schreckt nicht ab, sondern mindert lediglich den Wert menschlichen Lebens und leistet neuen Morden Vorschub. Wir bitten um nicht mehr und nicht weniger als Gnade. Wir bitten Sie, den Angeklagten die kleine Gnade einer lebenslangen Haftstrafe zu erweisen …« Nicht alle hörten aufmerksam zu; ein Geschworener, wie betäubt von der bleiernen Frühjahrsmüdigkeit, die das Publikum fortwährend zum Gähnen reizte, saß mit glasigen Augen und so weit aufgesperrtem Mund auf seinem Stuhl, dass Bienen bequem hätten ein und aus fliegen können.
     
    Green rüttelte sie wach. »Meine Herren«, begann er in freier Rede, »Sie haben soeben zwei dringliche Gnadenappelle zugunsten der Beschuldigten gehört. Ein Glück, dass meine

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