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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Heldentaten zu prahlen, durch hemmungsloses Geldausgeben sowie die Unzufriedenheit mit den begrenzten Aufstiegschancen, die sein Beruf ihm bietet … Er ist unsicher in seinen Beziehungen zu anderen Menschen und leidet unter der geradezu pathologischen Unfähigkeit, dauerhafte persönliche Bindungen einzugehen und aufrechtzuerhalten. Obgleich er sich zu den üblichen moralischen Wertmaßstäben bekennt, haben diese offenbar keinerlei Einfluss auf sein Handeln. Alles in allem weist er die typischen Merkmale dessen auf, was in der Psychiatrie als schwere Charakterstörung bezeichnet wird. Es müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die Möglichkeit einer organischen Hirnverletzung auszuschließen, denn deren Vorhandensein könnte sein Verhalten in den vergangenen Jahren, also auch zur Tatzeit, maßgeblich beeinflusst haben.«
    Abgesehen von einem – für den nächsten Tag anberaumten – förmlichen Appell an die Geschworenen war die geplante Verteidigung Hickocks mit der Aussage des Psychiaters abgeschlossen. Als Nächstes kam Arthur Fleming, Smiths schon etwas älterer Anwalt, an die Reihe.
    Er präsentierte vier Zeugen: Reverend James E. Post, den protestantischen Kaplan des Kansas State Penitentiary; Perrys Freund, den Indianer Joe James, der an diesem Morgen doch noch eingetroffen war, nachdem er zwei Nächte und einen Tag im Bus gesessen hatte, um von seiner Heimat in der Wildnis des äußersten Nordwestens nach Garden City zu gelangen; Donald Cullivan und, noch einmal, Dr. Jones. Bis auf den Psychiater traten diese Männer allesamt als »Leumundszeugen« auf – Leute, die dem Angeklagten die eine oder andere menschliche Tugend attestieren sollten.
    Es erging ihnen nicht besonders gut, denn kaum gelang es einem von ihnen, eine auch nur annähernd positive Äußerung vorzubringen, legte die Anklage auf der Stelle Einspruch ein und brachte die Zeugen mit der Begründung, derlei persönliche Bemerkungen seien »belanglos«, »unerheblich« und gehörten »nicht zur Sache«, zum Schweigen und vertrieb sie aus dem Zeugenstand.
    Joe James, zum Beispiel – dunkelhaarig und noch dunkelhäutiger als Perry, eine ranke Gestalt, die in Mokassins und ausgebleichtem Jagdhemd aussah, als sei sie eben erst auf wundersame Weise aus dem Schatten eines Waldes hervorgetreten –, erzählte dem Gericht, dass der Angeklagte mit Unterbrechungen fast zwei Jahre lang bei ihm gewohnt habe. »Perry war ein sympathischer Kerl, in der ganzen Nachbarschaft beliebt – soweit ich weiß, hat er sich nie etwas zuschulden kommen lassen.«
    An dieser Stelle wurde er vom Staatsanwalt jäh unterbrochen, genau wie Donald Cullivan, als dieser sagte: »In unserer gemeinsamen Zeit bei der Army war Perry ein sehr sympathischer Bursche.«
    Reverend Post hielt etwas länger durch, da er keinen direkten Versuch unternahm, den Gefangenen in ein schmeichelhaftes Licht zu rücken, sondern sich auf die einfühlsame Schilderung ihrer ersten Begegnung in Lansing beschränkte. »Ich habe Perry Smith kennen gelernt, als er mit einem selbstgemalten Bild in mein Büro in der Gefängniskapelle kam – ein mit Pastellkreide ausgeführtes Christusporträt. Er wollte es mir für die Kapelle schenken. Seitdem hängt es in meinem Büro an der Wand.«
    »Haben Sie ein Foto dieses Bildes?«, fragte Fleming. Der Geistliche hatte einen ganzen Umschlag voller Fotos; doch als er sie hervorholte, um sie an die Geschworenen zu verteilen, sprang Logan Green wutentbrannt auf:
    »Bitte, Euer Ehren, das geht zu weit … « Seine Ehren sorgten umgehend dafür, dass es nicht noch weiter ging.
    Nun betrat Dr. Jones ein zweites Mal den Zeugenstand, und nach den Präliminarien, die er schon bei seinem ersten Auftritt hatte über sich ergehen lassen müssen, stellte Fleming ihm die entscheidende Frage: »Sind Sie aufgrund Ihrer Gespräche und Untersuchungen zu einem Urteil darüber gelangt, ob Perry Smith zum Zeitpunkt der hier zur Verhandlung stehenden Straftat Recht und Unrecht unterscheiden konnte?« Und wieder ermahnte das Gericht den Zeugen: »Antworten Sie mit ja oder nein, sind Sie zu einem Urteil gelangt?«
    »Nein.«
    Von erstauntem Gemurmel begleitet, sagte Fleming, gleichfalls erstaunt: »Sie dürfen den Geschworenen erklären, warum Sie sich keine Meinung bilden konnten.«
    Green erhob Einspruch: »Der Mann hat keine Meinung, und damit Schluss.« Ein Verdikt, dem sich der Richter vorbehaltlos anschloss.
     
    Doch hätte Dr. Jones den Grund für seine Zweifel darlegen

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