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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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anderen Zeugen, die auf den Beginn der scherzhaft so genannten »Festlichkeiten« warteten, irritierend.
    »Ich habe gehört, sie ziehen Streichhölzer, um auszulosen, wer als Erster dran ist. Oder sie werfen eine Münze.
    Smith soll gesagt haben, warum gehen wir nicht einfach alphabetisch vor? Kein Wunder, S kommt nach H. Ha!«
    »Haben Sie heute Nachmittag in der Zeitung gelesen, was sie sich als Henkersmahlzeit haben kommen lassen?
    Beide dasselbe Menü. Garnelen. Pommes frites. Knoblauchbrot. Eis mit Erdbeeren und Schlagsahne. Smith soll kaum etwas gegessen haben.«
    »Dieser Hickock hat Humor. Vor einer Stunde sagt ein Wärter zu ihm: ›Das ist bestimmt die längste Nacht Ihres Lebens.‹ Und Hickock lacht und sagt: ›Nee, die kürzeste.‹«
    »Haben Sie schon gehört? Hickock soll seine Augen einem Augenarzt vermacht haben. Sobald sie ihn abschneiden, reißt ihm der Arzt die Augen aus dem Kopf und setzt sie einem anderem ein. Also, in dessen Haut möcht ich nicht stecken. Mit Hickocks Augen kam ich mir doch reichlich komisch vor.«
    »Um Gottes willen! Regnet es etwa? Und ich hab alle Fenster runtergekurbelt! Mein neuer Chevy! Um Gottes willen!«
    Der jähe Regenguss prasselte auf das hohe Dach des Lagerhauses. Das Geräusch, dem Rattatattat einer Paradetrommel nicht unähnlich, kündigte Hickocks Ankunft an. Begleitet von sechs Wärtern und einem Gebete murmelnden Kaplan, betrat er den Todesraum in Handschellen und einem hässlichen Korsett aus Lederriemen, womit man ihm die Arme fest an den Körper gebunden hatte. Am Fuß des Galgens verlas der Gefängnisdirektor den zwei Seiten langen Hinrichtungsbefehl. Währenddessen wanderten Hickocks Augen, geschwächt von fünfjähriger Haft in finsterer Zelle, von einem Zuschauer zum anderen; als er nicht sah, was er suchte, beugte er sich zu dem Wärter neben ihm und fragte ihn im Flüsterton, ob auch ein Mitglied der Familie Clutter anwesend sei. Als der verneinte, schien der Gefangene enttäuscht, ganz so, als sei dies ein Verstoß gegen das Protokoll des Racherituals.
    Als der Gefängnisdirektor zu Ende gelesen hatte, fragte er den Verurteilten nach altem Brauch, ob er noch etwas sagen wolle. Hickock nickte. »Ich möchte nur sagen, dass ich keinem etwas nachtrage. Die Welt, in die ihr mich jetzt schickt, ist besser, als diese es jemals war«; dann, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schüttelte er den vier Männern, die sich besonders um seine Verhaftung und Verurteilung verdient gemacht und ausdrücklich darum gebeten hatten, der Hinrichtung beiwohnen zu dürfen, die Hand: den KBI-Agenten Roy Church, Clarence Duntz, Harald Nye und Dewey selbst. »Schön, dass Sie da sind«, sagte Hickock mit seinem charmantesten Lächeln; es war, als begrüße er sie zu seiner eigenen Beerdigung.
    Der Henker hustete – lüpfte ungeduldig seinen Cowboyhut und rückte ihn umständlich zurecht, eine Geste, die irgendwie an einen Truthahngeier erinnerte, der sein Halsgefieder plustert und wieder glättet –, und von einem Wärter angestoßen, stieg Hickock die Stufen des Gerüsts hinauf. »Der Herr gibt, der Herr nimmt. Gesegnet sei der Name des Herrn«, psalmodierte der Kaplan, während der Regen immer schneller auf das Dach des Lagerhauses prasselte, man dem Gefangenen die Schlinge um den Hals legte und ihm die Augen verband. »Gott sei deiner Seele gnädig.« Die Falltür ging auf, und Hickock hing volle zwanzig Minuten vor aller Augen, bis der Gefängnisarzt endlich sagte: »Ich erkläre diesen Mann für tot.« Ein Leichenwagen, auf dessen gleißenden Scheinwerfern Regentropfen perlten, rollte herein, und der in eine Decke gehüllte Leichnam wurde auf einer Bahre in den Wagen geschoben und verschwand in der Nacht.
    Roy Church sah ihm kopfschüttelnd nach: »So viel Mumm hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Er hat es mit Anstand über sich ergehen lassen. Ich hatte ihn eigentlich immer für einen Feigling gehalten.«
    Der angesprochene Kollege sagte: »Ach, Roy, der Kerl war ein Unmensch. Ein mieses Schwein. Er hat’s nicht besser verdient.«
    Church schüttelte noch immer nachdenklich den Kopf.
    Während sie auf die zweite Exekution warteten, unterhielten sich ein Reporter und ein Wärter. »Ist das Ihre erste Hinrichtung?«, fragte der Reporter.
    »Ich war schon bei Lee Andrews dabei.«
    »Ich sehe so was zum ersten Mal.«
    »Und? Wie fanden Sie’s?«
    Der Reporter schürzte die Lippen. »Niemand in der Redaktion hat sich um diesen Job gerissen. Ich auch

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