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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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sich schattenhaft gegen den Mond abhoben – das brachte den Puls auf Touren, wie Bob zu sagen pflegte.
    Ähnlich berauschend, wenn auch ungleich profitabler, war es, auf Kaninchenjagd zu gehen: Kenyon war ein guter, sein Freund ein noch besserer Schütze, und zusammen lieferten sie bisweilen ein halbes Hundert erlegter Kaninchen in der »Kaninchenfabrik« ab – einem Verarbeitungsbetrieb in Garden City, der zehn Cent pro Tier bezahlte und die Kadaver schockgefroren an Nerzzüchter verschickte. Aber für Kenyon – und auch Bob – gab es nichts Schöneres als das Wochenende und ihre nächtlichen Jagdausflüge am Flussufer entlang: wandern, sich in warme Decken hüllen, bei Sonnenaufgang mit gespitzten Ohren auf das Flügelschlagen der Wasservögel lauschen, sich dem Laut auf Zehenspitzen nähern und dann, zum krönenden Abschluss, erhobenen Hauptes und mit einem Dutzend fetter Enten am Gürtel heimwärts stolzieren. Doch seit kurzem hatte ihre Freundschaft einen Knacks. Sie hatten sich weder gestritten noch überworfen, es war eigentlich gar nichts vorgefallen, nur »ging« der sechzehnjährige Bob neuerdings mit einem Mädchen, und der um ein Jahr jüngere Kenyon, der für das zarte Geschlecht bislang wenig Interesse aufzubringen vermochte, konnte auf Bobs Kameradschaft fortan nicht mehr zählen. »Wenn du erst mal so alt bist wie ich, siehst du das anders. Früher habe ich genauso gedacht wie du: Weiber – na und? Aber wenn du dich dann mit einer unterhältst, merkst du plötzlich, dass sie eigentlich ganz nett ist. Du wirst schon sehen.« Das bezweifelte Kenyon; es war ihm unbegreiflich, wie man seine Zeit mit Mädchen verplempern konnte, statt sie sich mit Waffen, Pferden, Werkzeug und Maschinen zu vertreiben oder die Nase in ein Buch zu stecken. Wenn Bob unabkömmlich war, blieb er lieber für sich, denn vom Temperament her kam er nicht im Mindesten nach seinem Vater, sondern war eindeutig Bonnies Sohn, ein sensibler, zurückhaltender Junge. Seine Mitmenschen hielten ihn für einen »Einzelgänger«, was ihm jedoch niemand übelnahm. »Ach, Kenyon «, pflegten sie zu sagen. »Der lebt in seiner eigenen Welt.«
    Er ließ den Lack trocknen und ging nach draußen, um den geliebten Blumengarten seiner Mutter in Ordnung zu bringen, ein halb verwildertes Gewirr von Blättern, das unter ihrem Zimmerfenster wuchs. Dort stieß er auf einen der Farmarbeiter – Paul Helm, den Mann der Haushälterin –, der die Erde mit einem Spaten lockerte.
    »Hast du den Wagen gesehen?«, fragte Mr. Helm.
    Ja, Kenyon hatte ein Auto in der Auffahrt stehen sehen – ein grauer Buick, der vor dem Eingang zum Büro seines Vaters parkte.
    »Ich dachte, du wüsstest vielleicht, wer das ist.«
    »Das kann eigentlich nur Mr. Johnson sein. Dad hat gesagt, dass er ihn erwartet.«
    Mr. Helm (der verstorbene Mr. Helm; im darauffolgenden März erlag er einem Schlaganfall) war ein schwermütiger Mann von Ende fünfzig, hinter dessen verschlossener Fassade sich ein überaus neugieriger, wachsamer Charakter verbarg; er wusste gern, was um ihn herum vor sich ging. »Welcher Johnson?«
    »Der von der Versicherung.«
    Mr. Helm grunzte. »Dein Vater hat anscheinend dringenden Bedarf in dieser Richtung. Der Wagen steht seit: mindestens drei Stunden da.«
    Die schaudernde Kälte der hereinbrechenden Dämmerung lag in der Luft, und obgleich der Himmel nach wie vor tiefblau war, entsprossen den hohen Chrysanthemenstauden im Garten lang und länger werdende Schatten; Nancys Katze tummelte sich zwischen den Sträuchern und schlug mit den Pfoten nach der Kordel, mit der Kenyon und der alte Mann die Pflanzen an den Stöcken festbanden. Plötzlich kam Nancy auf der fetten Babe quer übers Feld getrabt – Babe kehrte von ihrem Samstagabendvergnügen, einem Bad im Fluss, zurück.
    Teddy, der Hund, lief neben ihnen her, und alle drei glänzten vor Nässe. »Du holst dir noch den Tod«, sagte Mr. Helm. Nancy lachte; sie war noch nie krank gewesen – nicht ein einziges Mal. Sie glitt von Babes Rücken, plumpste ins Gras am Rande des Gartens, schnappte sich ihre Katze, hob sie hoch über ihren Kopf und küsste sie auf Nase und Schnurrhaare.
    »Also wirklich«, sagte Kenyon angewidert. » Tiere auf die Schnauze küssen.«
    »Wieso? Du hast Skeeter doch auch geküsst«, rief sie ihm ins Gedächtnis.
    »Skeeter war ja auch ein Pferd. « Ein wunderschönes Pferd sogar, ein Fuchsschimmel, den er selbst aufgezogen hatte. Und wie Skeeter einen Zaun nahm! »Du hetzt das

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